Der Statist der Wende-CDU

Der politische Neuling Lothar de Maiziere wurde an der Spitze der CDU zum Wahlsieger in der DDR / Um die Rolle des Ministerpräsidenten möchte er gerne herumkommen  ■  P OR T R A I T

Das erste Mal hat sich Lothar de Maiziere in die Rolle des Ministerpräsidenten der DDR gedacht, das war Anfang Februar, auf dem Kreisparteitag der CDU in Klötze. Daß dieses Amt allerdings so schnell auf ihn zukommen könnte, mußte er damals noch nicht befürchten. Zu dieser Zeit glaubte niemand an einen so sensationell hohen Wahlsieg der Allianz und schon gar nicht der CDU. Noch sucht de Maiziere nach einem Kandidaten, der statt seiner in das vorderste Rampenlicht treten will, doch es ist fraglich ob die Partei einen anderen als Ministerpräsident akzeptiert.

Es ist noch kein halbes Jahr her, daß der 50jährige Jurist die Bühne der Parteipolitik betreten hat. Schnell wird er jetzt in höchste politische Verantwortung genommen. Er, der nie vorher ein Parteiamt bekleidet hatte, wurde auf dem Sonderparteitag der CDU am 16. und 17. Dezember 1989 mit übergroßer Mehrheit zum neuen Parteivorsitzenden der 140.000 Mitglieder starken Blockpartei gewählt. Lothar de Maiziere ist ein Mann der Wende. Er war da, als die Partei einen brauchte. Er war einer, der nicht im Geruch stand, mit dem alten SED-Regime paktiert zu haben. Der schier unvermeidlichen Stasi-Vorwurf hat jetzt aber auch ihn getroffen. Doch er dementierte. Er habe zwar mit der Stasi verhandelt, nicht aber mit ihr zusammengearbeitet. Seiner Partei hat er im Dezember auf den Weg gegeben, daß „nur Offenheit unverwundbar macht“. Den Vorsitzenden trifft dies allemal.

Lothar de Maiziere, von Beruf Rechtsanwalt, Verteidiger von kirchlichen Oppositionellen, aus Berufung Christ. Sein Amt als Parteivorsitzender nahm er mit den Worten: „Ja, mit Gottes Hilfe“, an. De Maiziere ist gläubiger Protestant, geboren in Thüringen. Er stammt aus einer alten Hugenottenfamilie, die heute in beiden deutschen Staaten lebt - und Einfluß hat. Ein Onkel war ehemals Generalinspekteur der Bundeswehr, sein Vetter lebt in West -Berlin und ist Pressesprecher beim dortigen CDU-Landes- und Fraktionsvorsitzenden Eberhard Diepgen. Daß de Maiziere nicht immer Rechtsanwalt war, sondern ursprünglich Musiker, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Kein Moderator läßt es sich nehmen, die Analogie mit der „Ersten Geige“, die de Maiziere einst war, zu ziehen. Erst mit 35 Jahren wurde er Rechtsanwalt.

Lothar de Maiziere liebt die Hektik der Öffentlichkeit nicht. Daß ihm der opulente und aufdringliche West-Wahlkampf nicht gefällt, konnte er kaum verbergen. Neben Helmut Kohl nimmt er sich nicht nur seiner schmalen, kleinen Körperstatur wegen verschwindend aus. De Maiziere beherrscht auch nicht das laute Vokabular. Das ist durchaus im übertragenen Sinne gemeint. Schlagworte und Statements sind nicht seine Sache. Vor den Mikrophonen der Journalisten und den Blitzlichtern flüchtet er in schier panischem Entsetzen, wann immer es geht. Er weiß, daß er - mit verbogenem West -Blick betrachtet - eine schlechte Figur macht. Sympatisch wird er, wenn er nicht versucht, dies zu überspielen. Denn de Maiziere gehört zu einer Spezies von DDR-Politikern, die der bundesdeutschen Szenerie guttun könnten. Ohne Eloquenz, ohne glatte Worte. Ruhig und ohne Zeitdruck im Gespräch. Die Uhr überläßt er seiner Sekretärin.

Bleibt die Frage offen, warum er, der sein Leben lang aufrecht gegangen ist, sich jetzt zum Statisten des Einheitsprozesses machen läßt. Auf dem Parteitag im letzten Dezember hat er sich kritisch zur West-Prominenz geäußert, die, obwohl gar nicht eingeladen, trotzdem gekommen war. Und noch im Januar warnte er vor einem West-Wahlkampf in der DDR. „Unser Land ist so zerbrechlich“, meinte de Maiziere. Er war der einzige Unionspolitiker, der sich im Laufe des Wahlkampfes kritisch über die Geschwindigkeit des Einheitszuges geäußert hat. Und noch in den letzten Wochen erinnerte er daran, daß es einen „Anschluß“ nicht geben könne, die DDR Übergangsregelungen brauche. Doch da hatten seine Worte schon an Glaubwürdigkeit verloren. Denn wo, so fragte man sich, wo holt er die Kraft her, dies gegen Bonn durchzusetzen. De Maiziere beugte sich vor Kohl. Um der Wahlkampfunterstützung willen ließ er sich in eine Allianz mit den Scharfmachern aus Leipzig, der DSU, pressen, einer Partei, die ihm sichtlich Unbehagen macht. Doch offensichtlich hat ihn die Dampfwalze aus Bonn überrollt.

Lothar de Maiziere hat seiner Partei nach 40 Jahren SED -finanzierter Dumpfheit und Untertänigkeit im Westen zu Ansehen verholfen. Die Früchte allerdings wird er nicht ernten. Er ist der Übergangskandidat, der Ausputzer, der Statist. In einem zukünftigen wiedervereinigten Deutschland wird er gegen die Kohls, Geißlers und Rühes nicht bestehen können. Dann wird keine Grenze die westliche Parteikultur mehr zügeln können.

Brigitte Fehrle