Verlierer SPD läßt die Allianz abblitzen

Parteivorstand-Ost beschließt einstimmig: Große Koalition mit Kohls konservativem Bündnis findet nicht statt / Böhme sieht eindeutigen Wählerauftrag für „Allianz“ / De Maiziere will die Zukunft nicht allein verantworten und wirbt heftig um eine breite Regierungsmehrheit  ■  Von Matthias Geis

Ost-Berlin (taz) - Einen Tag nach der Wahlniederlage bei der Volkskammerwahl haben die Sozialdemokraten in der DDR den Koalitionsangeboten der CDU eine Absage erteilt. Damit ist das heftige Werben der konservativen Allianz für eine „breite Regierungskoalition“ vorerst gescheitert. Der SPD -Parteivorstand folgte gestern einstimmig dem Vorschlag des Parteivorsitzenden Ibrahim Böhme, der sich bereits am Wahlabend gegen eine Regierungsbeteiligung seiner Partei unter der Führung der CDU ausgesprochen hatte. Die Begründung für die Absage klingt fast ein wenig schadenfroh: Die „Allianz“, so Böhme, habe einen eindeutigen Wählerauftrag für die Regierungsbildung erhalten. Das wolle die SPD respektieren. Außerdem habe die SPD schon vor der Wahl mehrfach eine Koalition mit der DSU ausgeschlossen. Dazu wolle man auch nach der Wahl stehen.

Immerhin läßt diese Begründung der SPD eine Hintertür, falls der CDU eine breite Mehrheit und die Einbindung der SPD wichtiger erscheinen sollte als die im Wahlkampf ohnehin stark lädierte Bündnissolidarität innerhalb der Allianz. Die Deutsche Soziale Union (DSU) ist neben dem eindeutigen Wahlsieger CDU und dem Demokratischen Aufbruch einer der drei Partner des - unter massivem Einfluß der West-Union eilig zusammengezimmerten konservativen Bündnisses.

Der CDU-Vorsitzende Lothar de Maiziere hatte schon am Morgen nach der Wahl sein Angebot an die SPD unterbreitet. Auch das Liberale Bündnis soll an der Regierung beteiligt werden. Die Koalitionsgespräche könnten, so de Maiziere, bereits in dieser Woche beginnen.

Die Gründe für das Werben um die Sozialdemokraten, die von der Allianz vor der Wahl als Kollaborateure des SED-Regimes attackiert worden waren, lieferte de Maiziere gleich mit: Die großen Probleme auf dem Weg zur deutschen Einheit machten eine breite Koalition notwendig. Im Klartext: Der „Allianz“ und ihrem West-Partner bereitet die Vorstellung Unbehagen, ihren Wahlkampftrumpf - die schnelle Einheit jetzt zu realisieren und die Verantwortung für die sozialen Folgekosten alleine zu tragen. Deshalb überrascht es nicht, daß auch Bundeskanzler Kohl und führende westliche Unionspolitiker nicht nur glücklich über den Wahlerfolg sind und für eine Regierungsbeteiligung der SPD plädieren. Die Herstellung der Einheit über den Artikel 23 des Grundgesetzes, die von der Allianz vor der Wahl versprochen worden war, ist ohne die SPD nicht zu machen. Für die Beitrittserklärung zum Grundgesetz, die Wiederherstellung der fünf Länder der DDR, aber auch für die geplanten tiefgreifenden ökonomischen Reformen sind verfassungsändernde Mehrheiten notwendig. Die Ost-SPD hat damit trotz der massiven Wahlniederlage eine Schlüsselposition für die künftige Politik.

Vorstandsmitglied Konrad Elmer erklärte, die Entscheidung gegen eine Koalition sei ohne Beeinflussung durch die West -SPD getroffen worden. Steffen Reiche, ebenfalls im Vorstand, sprach sich außerdem gegen eine Vereinigung nach Artikel 23 aus. Es gehe um ein vereinigtes Deutschland, nicht um eine vereinigte Bundesrepublik.

Trotz des ablehnenden Vorstandsvotums erklärte sich Böhme zu „Informationsgesprächen“ mit der CDU bereit. Das entspreche der Verantwortung für das Land und den demokratischen Spielregeln. Noch könnte sich also die harte Haltung seiner Partei als Teil eines Verhandlungspokers erweisen.

CDU-Chef de Maiziere kündigte gestern eine rasche Realisierung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion, die Schaffung von Länder Fortsetzung auf Seite 2

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strukturen und den Abbau der Mauer an. Der Vorsitzende der CDU bejahte erneut eine Schnell-Vereinigung der deutschen Staaten über Artikel 23 aus. Die Mitgliedschaft in der EG, die durch den Beitritt automatisch erfolge, sei mit ein Grund zur Entscheidung für den Artikel 23, sagte de Maiziere. Im Gegensatz zum SPD-Vorstand erkannte de Maiziere - mit treuem Augenaufschlag - keine unüberwindlichen Hindernisse für eine große Koalition mit der SPD. Der Umstand, daß die beiden deutschen Staaten ver

schiedenen Militärbündnissen angehören, hält de Maiziere entgegen seinen Bonner Ziehvätern für „eine der schwierigsten Fragen“. Er gehe davon aus, daß auf dem Gebiet der heutigen DDR keine Nato-Truppen stationiert werden. Zugleich lehnte de Maiziere aber eine Neutralität Deutschlands ab. Ein solcher Gedanke schreibe die Vorstellung vom Weiterbestehen der Militärblöcke „mit einem deutschen Sonderweg dazwischen“ fest. Als „Zeichen des Zusammenwachsens Deutschlands“ soll nach de Maizieres Vorstellungen die Mauer „so schnell wie möglich“ beseitigt werden. Sie durch einen Zaun zu ersetzen, hielte er für „Geldverschwendung“.