ZUNGE ZEIGEN

■ Die Künstlerinnen Nancy Spero und Alida Fehring

Im Haus am Waldsee gibt es eine Ausstellung von Nancy Spero, einer amerikanischen Künstlerin und Feministin. Im Haus am Kleistpark gibt es eine Ausstellung von musikbezogenen Werken psychisch Kranker. Unter anderem sind auch Arbeiten von Alida Fehring ausgestellt, Arbeiten, die vermutlich vor etwa 120 Jahren entstanden sind. Die Werke dieser beiden Künstlerinnen haben eine Vielzahl von Berührungspunkten, ohne daß die eine je von der Existenz der anderen wußte.

„Alida Fehring sei, so heißt es, auf Grund ihrer Schriften und gezeichneten Blätter (auch wegen ihres Gesangs?) für verworfen befunden und eingesperrt worden ins Irrenhaus (zu Rendsburg?), von Mitgliedern ihrer eigenen Familie als lasterhaft Schweigsame (kennt das Laster den Sinn?), die, wenn überhaupt, sich nur unverständlich äußere, sich nicht füge (lebte sie nicht genau in der Fuge?).“ (Aus dem Katalog zu Alida Fehring, S.8.)

Eigentlich weiß man gar nichts von ihr. Es gibt den Namen, ein paar Texte und Bilder, ein signiertes Foto und ein paar Hinweise zu ihrem Leben. Sie ist vor 1835 geboren worden und starb zwischen 1870 und 1900. Das Foto muß um circa 1870 aufgenommen worden sein. Daß das Foto die Collage einer Philosophie sein könnte, genauso wie auch ihr Name, scheint ungewöhnlich. Alles ist Vermutung.

Im Irrenhaus nahm man Alida Fehring alles weg, was irgendwie hätte benutzt werden können zum Zeichnen, Malen oder Schreiben, also benutzte sie alles, was annähernd zum Zeichnen, Malen oder Schreiben benutzt werden konnte: Briefumschläge, Buchseiten, Notenblätter - (man ließ sie weiter Klavier spielen), Beerenfarbe, Laub, Erdfarbe -, um ihrer eingesperrten Sprache, den eingesperrten Bildern und den eigesperrten Rhythmen einen Weg ins Freie zu ermöglichen.

Die wenigen Blätter, die von ihr erhalten geblieben sind, sind Kompositionen aus den vorgegebenen Strukturen ihres Arbeitsmaterials, aus Notenlinie oder Text, aus Farbe und Schrift. Sie greift ein, entfernt oder benutzt, was vorgegeben ist. Das Ergebnis sind Abbildungen, die wie Landschaften wirken. Landschaften, die durch die Ökonomie, mit der die Farben gesetzt sind, bestechen, Landschaften, die musikalische Kompositionen sein können, wie ihre Texte vermutlich ebenfalls Kompositionen sind, die die Disharmonie in ein Gleichgewicht bringen, das über unsere Wahrnehmung hinausgeht. Das ist es, was ungeduldig macht: Die Betrachterin kommt nie weiter mit Alida Fehring als mit sich selbst.

Ganz offensichtlich wurde ihr zum einen zu Lebzeiten nicht zugehört, zum anderen wurde ihr verboten, etwas zu sagen. Das ist ein bekanntes Muster. Wer dennoch darauf besteht, etwas sagen zu wollen, ohne daß ihm oder ihr die Vermittlung in das als bekannt vorausgesetzte Denk- und Sprachmuster gelingt, der oder die wird kaserniert, kommt ins Irrenhaus oder ins Gefängnis. Frauen landen öfter im Irrenhaus als im Gefängnis. Das auch noch.

Außer den bildnerischen, poetischen und kompositorischen Arbeiten von Alida Fehring gibt es das Foto. Das ist genauso ungewöhnlich. Wie kam dieses Foto zustande in einer Zeit, in der Fotografieren nichts Alltägliches war? Erst auf den zweiten Blick entdeckt man die Schmuckstücke, die sie trägt. Assoziationen, die nicht ausgeprochen werden sollen, damit sie nicht zur einzig interpretierten Wahrheit werden, tauchen auf. Die Schmuckstücke binden die Frau ein in ein übergreifendes System von Kulturen, genauso wie plötzlich auch ihr Name, Alida, mehr ist als nur eine ungewöhnliche Aneinanderreihung von Lauten. Auf dem Kopf trägt sie (vielleicht) das Symbol der frühesten obersten Gottheit, der gebärenden Frau, überm Ohr (vielleicht) den Phallus, als Wagen der Isis getarnt, um den Hals das Kreuz, der Kragen ihres Kleides die Brosche, Schwert und Schmerz und schwer zu entziffernde Zeichen, genauso ihr Lächeln, in dem jemand Mona Alida erkannt hat.

Alida Fehring hat sich als Personifikation einer zeitgeschichtlichen, weiblichen Collage präsentiert und abbilden lassen, nach dem einen Außen hin als die Verliererin, nach dem anderen Außen hin als subversive Überwindung des Schweigens. Weniger Wort hat kaum je eine Frau gebraucht, um diesen Zusammenhang herzustellen.

Nancy Spero, die amerikanische Künstlerin, ist 1926 geboren. Sie macht in ihren Bildern das, wofür Alida Fehring nur ihren Namen, ihr Foto und das Wort Telefon hatte, das sie irgendwann einmal schrieb, obwohl es vor 120 Jahren noch kein Telefon gab. Nancy Spero mischt in ihren Bildern, die zeitweilig mehrere Meter lang sind, Frauendarstellungen aus den verschiedensten Kulturen und Epochen. Der Weg dahin ist nicht leicht.

Ihre frühen Bilder sind Darstellungen von Frauen. Da sie jedoch vorwiegend nur Schwarz oder Anthrazit als Farben benutzte, bleibt von den Abgebildeten nur der Schatten. Auch die nächste Serie ihres Werkes gibt den abgebildeten Frauenköpfen keinen Handlungsrahmen. Die Frauen kotzen die Bomben, die die Männer abwerfen (auf Vietnam zum Beispiel). Den Frauen wird diese Sprache wie keine andere aufgezwungen. Die Männer machen den Krieg. Nancy Spero merkt, daß sie als Frau keine eigenen Sprache und als Künstlerin keine eigene Kunst sprechen, ja: sprechen, kann.

Sie beginnt, sich mit Artaud auseinanderzusetzen. Artaud war ein Theatermacher und Schriftsteller, der die Sprache zerlegte und neu wieder zusammenbaute, der die Sprache solange rekonstruierte und dekonstruierte, bis er nicht mehr verstanden wurde und zum Verrückten erklärt worden war. Nancy Spero malte, was Artaud gesagt hat. „Eine Anfangsmüdigkeit der Welt“ oder „bevor ich mich umbringe, fordere ich, daß man mich des Seins versichert“ oder „das menschliche Gesicht trägt eine Art ständigen Todes mit sich“.

„Ich glaube, die 'War Series‘ (Kriegsserien) und der 'Codex Artaud‘ sind meine zornigsten Arbeiten. Zorn auf die äußeren Umstände, Zorn auf meine Situation als Künstlerin Frustration darüber, daß ich keine Stimme besaß. Als ich mich nach den 'War Series‘ Artaud zuwandte, ging ich von einer offenkundig politischen Situation, die deutlich sichtbar war, über zu einer Situation, in der ich die Probleme einer Künstlerin in der bürgerlichen Gesellschaft aufgriff. Doch wer war diese Künstlerin? Ich! Daher all diese Zungen; im Französischen ist das Wort Zunge und Sprache gleich: 'langue‘ - Ich streckte meine Zunge heraus und versuchte, ein Sprachrohr, eine Stimme zu finden, nachdem ich mich so viele Jahre zum Schweigen verurteilt gefühlt hatte. Und benutzte Artaud als Mittel, um meine Stimme als Künstlerin zu artikulieren, und wahrscheinlich mußte ich zu jener Zeit diese maskuline Stimme haben als extremstes Beispiel der Entfremdung.“ (Aus dem Ausstellungskatalog, S.16.)

Nach diesen Arbeiten beginnt Nancy Spero verstärkt damit, Texte und Abbildungen von Frauen aus der Mythologie und anderen Kulturen in ihre Bilder einzubringen. Sie nimmt die Abbildungen aus ihren kulturgeschichtlichen Zusammenhängen heraus und kombiniert sie mit Berichten gefolterter Frauen aus Uruguay, Chile, der Türkei. Zwar entkommen die Frauen nicht der Opfersituation, aber Abbildugnen, die aus ihren Zusammenhängen herausgelöst wurden, sind frei von den Konventionen, die sie vorher an die vorgegebenen Strukturen gebunden haben. Dadurch jedoch sind die Strukturen in Frage gestellt.

In der Zeit, in der diese Arbeiten entstehen, beginnt man sich für Nancy Spero zu interessieren. Daß das nicht unbedingt ein gutes Zeichen ist, müßte sie wissen.

Ihre neueren Werke sind meterlange Papierbahnen, Collagen von Frauendarstellungen verschiedener Kulturen und Epochen, die durch ihre Anordnungen, durch ihr Zusammen- und Auseinandergehen Bedeutung herstellen und verlieren, herstellen und verlieren.

Weil es nicht mehr gelingt, die Bilder inhaltlich zu zähmen, beginnt man, sie formal zu kontrollieren. was früher scheinbar ungeordnet über Wände verteilt war, wird in der Retrospektive - überhaupt Retro-Spektive - in dunkle, gleichgroße, identische Rahmen gepackt und ausgestellt. Die Kasernierung der feministischen Kunst Nancy Speros ist gelungen. Auf der Vernissage werden die Bilder als „heiter“, als „dekorativ“, als „optimistisch-utopisch“, als „rhythmisch-bewegt“ bezeichnet. Die Entmüdigung (Ent-mund -igung) einer Aussage findet statt.

Waltraud Schwab

Nancy Spero im Haus am Waldsee, bis 13. Mai.

Die Ausstellung „Muzika. Musikbezogene Werke von psychisch Kranken“, in der unter anderen auch Werke von Alida Fehring gezeigt werden, geht bis zum 15. April im Haus am Kleistpark. Der Katalog kostet 30 DM, ein älterer Katalog mit Schallplatte, auf der Texte von Alida Fehring gesprochen werden, kostet 70DM.