Wahlkampf zwischen Kaffeehaus und Moschee

Im Amsterdamer Stadtteil Oost tritt die christdemokratische CDA mit dem türkischen Immigranten Deniz Balak als Spitzenkandidaten an / Über den Unterschied zwischen ausländischen „Mitbürgern“ und türkischen Wahlkandidaten  ■ P O R T R A I T

Die letzten Tage sind doch etwas hektisch gewesen. Am Vormittag schon Hausbesuche im Wahlkreis, Koordinationstreffen mit Parteigenossen, nachmittags dann Shakehands in den Kaffeehäusern und Moscheen, abends Diskussionen in Bürgerversammlungen und in Jugendzentren. Der Wahlkampf für die Niederländer und die türkischen ImmigrantInnen in seinem Bezirk klappt bestens, in den marokkanischen Kaffeehäusern und Moscheen ist es manchmal schwierig, die Vorzüge der CDA zu erklären. Deniz Balak spricht eben „nur“ holländisch und türkisch, kein arabisch. Zwischendurch muß sich Balak auch noch um seinen Betrieb kümmern: „Ilge Import“ versorgt die türkischen ImmigrantInnen in den Niederlanden täglich mit Tageszeitungen, Zeitschriften und Groschenheftchen.

Deniz Balak, 36 Jahre alt, in der Türkei geboren und aufgewachsen, lebt seit zehn Jahren in Amsterdam. Gäbe es ein holländisches Äquivalent zum „American dream“, Deniz Balak wäre ein Paradebeispiel. Selbständiger Unternehmer, gläubiger Muslim, seit zwei Jahren aktives Mitglied der christlich-demokratischen CDA, seit einigen Monaten deren Spitzenkandidat für die Wahlen zum Bezirksrat im Amsterdamer Stadtteil Oost.

Seine Wertschätzung für die niederländische Gesellschaft stößt bei anderen ImmigrantInnen nicht auf ungeteilte Zustimmung, eine Ausnahme ist er allerdings nicht. Links sei er eben nie gewesen, sagt er, schon in der Türkei habe die Familie immer konservativ gewählt. Und wer, wie er, auch aus Glaubensgründen politisch aktiv ist, sei bei den Christdemokraten am besten aufgehoben - egal ob Muslim oder Christ. Die ideellen Vorzüge der CDA zu präsentieren, beherrscht er mittlerweile wie ein Profi: „Solidarität für die Schwachen, Respekt für die Schöpfung, Verantwortlichkeit für alle und Gerechtigkeit“.

Abends auf den Bürgerversammlungen sind allerdings konkretere Auskünfte gefragt: Der Bahnhof in Oost soll zum Verkehrsknotenpunkt ausgebaut werden, für das Krankenhaus liegen neue Pläne vor, ein Zentrum für Betriebsgründungen von Frauen gehört ebenfalls zum Wahlkampfprogramm der CDA. Oost wurde 1980 als erster Bezirk für die flächendeckende Stadterneuerung ausgewählt. Seit Jahren wird dort saniert, renoviert und vor allem im sozialen Wohnungsbau neu gebaut. „Wir brauchen hier auch teurere Miet- und Eigentumswohnungen“, predigt Balak, „damit Angehörige aller Einkommensgruppen hier leben möchten und sich hier niederlassen.“ Die Einbindung des freien Marktes als Strategie gegen Ghettobildung - Deniz Balak ist in solchen Dingen ebenso holländisch-pragmatisch wie seine niederländischen Kandidaten. Daß ihn manche seiner Landsleute eher als Holländer denn als Türken sehen, stört ihn „absolut nicht“. Schließlich gibt es genug Holländer, die ihn als Türken sehen. „Meine Identität ist die eines Immigranten.“ Eine Facette dieser Identität ist ein Foto von ihm und dem niederländischen Ministerpräsidenten Ruud Lubbers, als der ihn während des Wahlkampfes empfangen hatte - nicht als ausländischen „Mitbürger“, sondern als Wahlkandidaten und Parteigenossen.

In Oost leben 32.000 Amsterdamer, darunter etwa 3.000 Marokkaner, 1.500 Türken, sowie rund 1.500 Angehörige anderer Nationalitäten: Deutsche, Griechen, Jugoslawen. Zwei Prozent hat die rechtsradikale „Centrums Partij“ bei den letzten Wahlen geholt. Für Berliner Verhältnisse ist das angesichts zweistelliger Prozentanteile für die „Republikaner“ in manchen Bezirken eine zu vernachlässigende Größe, in Amsterdam ist man da empfindlicher. In Oost - und darauf ist Deniz Balak stolz - wird die „Centrums Partij“ dieses Mal nicht zulegen können. Sie haben nicht einmal einen Kandidaten für den Bezirksrat gefunden. Im übrigen gilt die Devise aller anderen Parteien auch für die CDA. „Wir setzen uns mit der Centrums Partij nicht an einen Tisch; wir nehmen an keiner Debatte oder Veranstaltung teil, an der auch die Centrums Partij beteiligt ist.“

Daß in Berlin die rechtsradikalen „Republikaner“ gegen das Ausländerwahlrecht ankämpfen, kann Deniz Balak in seinem politischen Koordinatensystem durchaus einordnen. Daß die deutsche Schwesterpartei, die CDU, mit denselben Inhalten auf die Straße geht, muß man ihm zweimal erklären, bevor er es wirklich glaubt. Das Argument, wählen könne nur, wer zum Volk gehöre, und in diesem Fall zum deutschen, empört ihn nicht einmal, weil er es chauvinistisch, sondern weil er es für weltfremd hält. „Wir sind genauso wie die Türken bei euch ein Teil dieser Gesellschaft - das kann man leugnen bis in alle Ewigkeit, aber es ist ein Fakt.“ Damals, als es um die Einführung des Wahlrechts für Ausländer in den Niederlanden ging, habe er den holländischen Politikern immer wieder gesagt: Die Politik ist die wichtigste Ebene der Teilnahme an der Gesellschaft, „also laßt uns an der Politik teilnehmen“.

Wenn morgen die Wahlergebnisse für Amsterdam-Oost bekanntgegeben werden, rechnet Deniz Balak mit 15 Prozent für die CDA. Das wären fünf Prozent mehr als 1986. Als Listenführer ist ihm der Platz im Bezirksrat sicher. Eine Kandidatur für die nächsthöhere Ebene, den Amsterdamer Gemeinderat, kann er sich gut vorstellen. Der türkische Abgeordnete Deniz Balak eines Tages im Parlament in Den Haag? „Das hoffe ich.“

Andrea Böhm