800 Seiten Papier

■ Mit rund 270.000 Mark finanzierte die Berliner Ausländerbeauftragte eine aufwendige Studie über die Ausländer in Berlin im 17. bis 20. Jahrhundert

Pressekonferenz in den Räumen der Ausländerbehörde. Die Ausländerbeauftragte des Senats, Frau Barbara John, hatte geladen, um auf eine Publikation aufmerksam zu machen, die heute beim Nicolai-Verlag erscheint.

Es ist die gedruckte Ausgabe der Studie „Fremde in Berlin“. Die Studie wurde auf Initiative von John in Zusammenarbeit mit der Historischen Kommission zu Berlin in den Jahren 1984 bis 87 erarbeitet. Doch nicht um die heutige neuere Bearbeitung des Ausländerproblems geht es, sondern um den Zeitraum Ende des 17. Jahrhunderts bis 1914 und um den Versuch, aktuelle Ausländerprobleme mit denen der vergangenen Zeiten zu vergleichen. John betonte nochmals in einer Einführung, daß sie durchaus Parallelen gezogen gesehen möchte zwischen den 300.000 Ausländern in Berlin heute und zu denen vergangener Zeiten.

In dem 800-Seiten-Wälzer widmen sich sechs Autoren in aller Ausführlichkeit den Hugenotten, Juden, Böhmen und Polen in Berlin und der mehr oder weniger erfolgreichen Integration und Assimilation. Dabei kommt zutage, daß die Ausländerfeindlichkeit schon früher ihre Ursachen in der Konkurrenzangst der mittleren und unteren Schichten hatte, daß Sonderbestimmungen die Rand- und Grauzonenbereiche für Ausländer erst provozieren.

Integration setzt demzufolge Toleranz und Freizügigkeit auf beiden Seiten voraus und braucht Zeit über Generationen hinweg. Wer hätte das gedacht! Außerdem erfährt der Leser, daß die Stadt immer von ihren Einwanderern profitiert hat. So haben uns die Hugenotten bedeutende Kulturimpulse verschafft, die Polen den Katholizismus in Berlin gestärkt und die Juden die Wissenschaften und vor allem das Kunst -Mäzenatentum in Berlin befördert. Dabei fiel John auf, wie bedauerlich es ist, daß in den heutigen Zeiten das Mäzenatentum so gut wie ausgestorben ist.

Ob es diese heimliche Liebe zum Mäzenatentum war, die sie veranlaßte, zuerst die Studie für lumpige 200.000 Mark und danach auch noch 69.000 Mark für die Drucklegung aus Mitteln des Haushalts zu bewilligen, bleibt nur zu vermuten. Zumindest muß ihr der Preis selber nicht ganz geheuer sein, denn auf die Frage der taz nach den Kosten, allein für die Studie, murmelte sie wohl doch etwas peinlich berührt: „Oh, die war teuer“.

In der Einführung hatte John gesagt, daß sie das Fehlen von Schlagzeilen über Ausländerprobleme in Zeiten deutsch -deutscher Wiedervereinigung nicht für übermäßig bedenklich hält - solange das Problem nicht völlig vergessen wird. Das gut ein Kilogramm schwere Werk wird die Senatskasse hoffentlich nur schwer verdauen, daß dieser Fall nicht eintritt.

Markstein