Vom Antifa-Schutzwall zum Rep-Bollwerk

■ CDU-Chef de Maiziere will die Mauer abreißen / Viele Ostberliner sind über diese Aussicht eher „beunruhigt“, meint die Ost-SPD / Das ehemals verhaßte Betonmonstrum gilt manchen DDR-Bürgern heute als Schutzwall gegen Drogenhandel, Neonazis und Autolärm

Selbst in der Parteizentrale der deutschdemokratischen CDU wußte man mit der Äußerung des Vorsitzenden de Maiziere nichts rechtes anzufangen. „So schnell wie möglich“ müsse die Mauer beseitigt werden und zwar ersatzlos, hatte der CDU -Chef am Montag erklärt. Ein CDU-Sprecher in Ost-Berlin hob gestern hilflos die Hände: „Ich weiß nicht exakt, wie er sich das zeitlich vorstellt. Fragen Sie ihn selbst“, meinte Ulrich Winz, Chef der CDU-Presseabteilung. Zur Zeit sei irgendeine Form von Grenzsicherung ja sicherlich „noch nötig“, meinte der Sprecher - obgleich er auch nicht sagen konnte, warum eigentlich.

Das einzige Pro-Mauer-Argument, das Winz einfiel, zog er rasch wieder zurück: Weil die „Rep-Gefahr“ in der DDR noch nicht „gebannt“ sei, könne auf die Grenzkontrollen nicht verzichtet werden. Nein, nein, den Ausdruck „antifaschistischer Schutzwall“ dürfe man in diesem Zusammenhang nicht benutzen, und vielleicht wäre es doch besser, er würde mit diesem Argument überhaupt nicht zitiert.

Dabei liegt Mauerfreund Winz vermutlich näher an der Gemütslage seiner Mitbürger als sein Chef de Maiziere. Die Ostberliner seien über die Aussicht durchaus „beunruhigt“, der westliche Drogenhandel könnte in ihre Stadthälfte schwappen, warnt Knut Herbst, Vize-Vorsitzende der Ostberliner SPD. Einen Grenzzaun will Herbst deshalb zumindest solange stehen lassen, bis die Volkspolizei auf die Verfolgung dieser Form der Kriminalität „eingestellt“ ist.

Auch an der Eberswalder Straße im Bezirk Prenzlauer Berg raubt die fallende Mauer den Anwohnern den Schlaf. Entschiedene Bürgerproteste folgten dem autogerechten Ausbau der Straße zum Grenzübergang Bernauer Straße. Die Anwohner fürchteten um die Ruhe, die sie im Schatten der Mauer bisher genossen hatten. Deshalb wird die Straße jetzt zwar ausgebaut, anschließend aber „mit Pflanzkübeln“ wieder verbarrikadiert, erläutert der Sprecher von Verkehrsstadtrat Manow, Werner Kunis.

193 Haupt- und Nebenstraßen durchtrennte die Mauer auf ihrem 160 Kilometer langen Lauf rings um West-Berlin. Etwa 150 davon, so die grobe Zählung von Erdmann Kühl von der Senatsverkehrsverwaltung, müßten nun wieder zusammengefügt werden. Die Verkehrsbehörde will schrittweise alle von der Mauer getrennten Straßen wieder für den Autoverkehr herrichten und hofft, daß sich der Verkehr dann auf erträgliche Weise verteilt. Mit Ost-Berlin stimmen die Senatsplaner jetzt schon das künftige Netz der Vorfahrtstraßen ab. In einem Fall denkt Westberlins Verkehrssenator Wagner auch an den regelrechten Neubau einer Straße: zwischen der Stadtautobahn in Neukölln und Treptow. Sein Ostberliner Amtskollege Manow lehnt das aus basisdemokratischen Gründen ab: Er müßte nämlich, so Kunis, mit „energischen Bürgerprotesten“ rechnen, weil Kleingärten verschwinden und die Wohnqualität in Treptow sich „einschneidend“ verschlechtern würde.

Würde die Mauer fallen, gäbe es vielleicht aber auch Platz für neue Kleingärten. Als die DDR 1961 das Bollwerk hochzog, wurden nicht nur Wohnhäuser abgerissen, Straßen gekappt, Eisenbahnschienen herausgerissen und Schneisen in den Wald geholzt - es wurden auch Kleingärten planiert. Den Fall der Laubenkolonie Grünek in Altglienicke prangerte der „Kurier“ am 9.0ktober 1961 an: „Alle Häuschen“ hätten die Vopos „in sinnloser Zerstörungswut“ niedergerissen. Zumindest „möglich“ sei es, daß diese Kleingärten wiederhergestellt würden, meint Magistratssprecher Seifert. Die Ostberliner Stadtoberhäupter sind sich mit Westberlins Umweltsenatorin Schreyer einig, den Grenzstreifen in 50 Abschnitte aufzuteilen und je nach örtlicher Lage neu zu beplanen. Einen „durchgehenden Grünstreifen“ werde es nicht geben, meint Seifert.

An einer Stelle des Grenzstreifens dient die Mauer in der Tat noch als antifaschistischer Wall: Am ehemaligen „Führerbunker“, der als sanfter Hügel nördlich des Übergangs Potsdamer Platz zu erkennen ist. Erstmals dürfen nun Denkmalschützer aus West-Berlin das unterirdische Bauwerk besichtigen. In der AL denkt man daran, den Bunker zu sperren und Besuchern lediglich für „Forschungs- und Dokumentationszwecke“ den Zutritt zu erlauben. Auf keinen Fall, so Staatssekretär Groth gestern, dürfe ein „Wallfahrtsort“ für Neonazis entstehen.

hmt