Fun-Radio oder Propagandainstrument?

■ Polens Privatradios in den Startlöchern / Nach Gesetzesnovelle werden mehrere Dutzend Sender entstehen / Westliches Kapital für ehemalige Radiopiraten

Es war nur eine kurze Nachricht in den Abendnachrichten des polnischen Fernsehens, noch dazu ohne genaue Ortsangabe, aber sie brachte fast hundert Interessierte auf die Beine, die aus ganz Polen über Nacht anreisten: Das erste Informationstreffen für polnische Radioamateure. Das war bereits im November letzten Jahres. Inzwischen haben die meisten Ideen der Radio-Fans bereits konkrete Gestalt angenommen, obwohl die gesetzlichen Grundlagen für den Betrieb privater Radios noch immer fehlen. Die Privatsender werden einstweilen noch durch ein aus den fünfziger Jahren stammendes Gesetz blockiert, das das staatliche Sendemonopol festschreibt. Ein Sender in Krakau hat allerdings bereits eine Möglichkeit gefunden, es zu umgehen: Das Gesetz verbietet nur das Senden und Ausarbeiten von Programmen, nicht aber das Remittieren. Seither können sich die Krakauer 24 Stunden am Tag „Fun-Radio“, einen privaten Musiksender, anhören, dessen Programm in Paris erstellt und und gesendet wird und über einen Krakauer Sender überspielt wird. Der Vertrag zwischen der Krakauer Radiostiftung, die von Solidarnosc-Aktivisten und -Abgeordneten gegründet wurde, und Fun-Radio, das von dem französischen Medienzar Hersant kontrolliert wird, sieht 35 Prozent Sendezeit für Hersant und 65 Prozent für die Krakauer vor. Einstweilen läuft allerdings hauptsächlich Musik.

Das Beispiel Krakau macht zweierlei deutlich: Viele der Radios, die zur Zeit in den Startlöchern auf die Freigabe durch den Sejm lauern, haben ihre Ursprünge in den oppositionellen Piratensendern des Kriegszustandes. Stanislaw Tyczynski, einer der Mitbegründer des Krakauer Radios, konnte sich 1982 gerade noch nach Frankreich absetzen, bevor sein Streiksender aufflog. Zbigniew Romaszewski, der jetzt in Warschau eine Radiostation gründet, saß sogar längere Zeit im Gefängnis, weil er zusammen mit seiner Frau nach Verhängung des Kriegszustandes mit Hilfe eines mobilen Kleinsenders die Geheimpolizei an der Nase herumgeführt hatte. Und zum anderen verwandelt sich die oppositionelle Radiofolklore von einst immer mehr in ein ernsthaftes Geschäft, in das zunehmend auch ausländische Geldgeber einsteigen. Die Stettiner private Nachrichtenagentur 'app‘ will etwa zusammen mit einem nach Schweden ausgewanderten Polen einen Lokalsender in Form eines Joint-venture gründen. Überall im Lande holen die Radio-Amateure bereits Angebote von westlichen Firmen für Studiogeräte und Sender ein. Alles wartet nur auf den Startschuß.

Vermutlich bereits in wenigen Wochen wird das polnische Parlament den Weg für die Gründung privater Sender freigeben und das staatliche Sendemonopol abschaffen. Viele der Abgeordneten, die darüber entscheiden werden, haben dabei höchst eigennützige Hintergedanken: Nicht nur, daß sie oft selbst Mitglieder solcher Radioclubs sind ion Krakau sind es zwei Abgeordnete, während Romaszewski in Warschau Senator ist), das Radio könnte sich besonders im Wahlkampf zu den kommunalen Selbstverwaltungsorganen in einigen Wochen als höchst wirksames Propagandainstrument erweisen. Als sich vor einer Woche in Lodz ein Vertreter einer westdeutschen Telekommunikationsfirma mit Vertretern der Radioclubs traf, galt deren Hauptinteresse vor allem einem: Wie kommt man so schnell wie möglich an ein Sendegerät. Zbigniew Skarul von 'app‘: „Offenbar wollen die Bürgerkomitees so weit sein, wenn das Staatsmonopol abgeschafft wird, daß sie noch vor den Wahlen den Betrieb aufnehmen können.“ Bei den Parlamentswahlen hatten die Bürgerkomitees von Solidarnosc den Startvorteil durch die erste frei Tageszeitung - der 'Gazeta Wyborcza‘. Inzwischen sind fast überall kleine Zeitungen, Wochenblätter und Mitteilungsblätter entstanden. Wem es gelingt, jetzt im Radiobereich erster zu sein, hat die besten Chancen, den Erfolg von Solidarnosc bei den Parlamentswahlen zu wiederholen. Und im Gegensatz zu anderen politischen Parteien und Gruppierungen haben die Bürgerkomitees genügend Geld dafür.

Insgesamt mehrere Dutzend ernstzunehmender Radioinitiativen gebe es inzwischen im ganzen Land, schätzt Skarul. Zwei Tendenzen lassen sich dabei ausmachen: die „politischen Radios“ und die kommerziellen. Fest steht schon jetzt: Wenn der Sejm den Weg freigibt, steht auch Polen ein Privatradio -Boom bevor. Um den Fuß in die Tür zu bekommen, gehen manche der Initiativen auch recht wundersame Wege: Ein Berliner will, so hört man in Stettin, von der Ostsee aus mit Polen zusammen von einem Schiff senden, um das noch geltende Sendeverbot zu umgehen.

Dem Sendebetrieb für Radios vom Ausland her steht bisher noch ein technisches Hindernis entgegen - übrigens auch ein Erbe des Kalten Krieges: Polens UKW-Wellenlänge hört da auf, wo die westlichen Frequenzen beginnen. Wer in Stettin etwa RIAS hören will, muß erst einmal sein Radio umbauen. Da die höheren Frequenzen jedoch bessere Qualität bieten, stehen Polens Radioamateure nun vor einer schwierigen Wahl: Sollen sie auf den bisherigen schlechten Frequenzen senden oder darauf bauen, daß die Polen sich über kurz oder lang sowieso alle westlichen Modelle kaufen?

Klaus Bachmann