Wenn Theaterblut fließt

■ Beth Henleys „Debütantinnenball“ wurde in Stuttgart erstaufgeführt

Die Familienverhältnisse sind verwickelt. Mutter Jen hat zwei Töchter aus erster Ehe: Teddy und Bliss. Jetzt ist sie mit Hank verheiratet, nachdem sie den ersten Mann mit der Bratpfanne erschlagen und im Gefängnis gebüßt hat. Der Mord hängt wie ein Damoklesschwert über der Familie, die trotz beträchtlichen Reichtums geschnitten wird: „Es war nicht leicht, die einzige Mörderin auf dem Ball zu sein“, sagt Jen nach dem Debütantinnenball, durch den Teddy in die Gesellschaft eingeführt werden sollte. Er endete als Katastrophe. Teddy drehte durch, Hank nahm den Ballsaal auseinander, Frances, die stumme Nichte vom Land, war stockbesoffen. Und dabei hatte Jen es sich gewünscht wie in Vom Winde verweht. Teddy hätte in ihrem Ballkleid eine große Freitreppe herunterkommen und die morsche Kleinstadtgesellschaft des amerikanischen Mittelwestens verblüffen sollen. Es wäre schön gewesen. Robert Altmann hätte es verfilmen können, oder David Lynch müßte noch einmal so etwas wie Blue Velvet versuchen. Man hätte permanent das Gefühl, alles sei kurz vor dem Zusammenbruch, ohne daß die Figuren permanent von sich behaupteten, sie würden gleich zusammenbrechen.

Aber was nützt es. Beth Henley hat ein Theaterstück geschrieben, und das kam in Stuttgart zu seiner deutschen Erstaufführung. Daß sie uns etwas erspart, kann man von der jungen amerikanischen, bereits mit dem „Pulitzer-Preis in Drama“ ausgezeichneten Autorin nicht behaupten: Jede ihrer Figuren kehrt ihr Innerstes nach außen und trägt ihre seelischen Deformationen auf der Zungenspitze spazieren. Alle schneiden sich irgendwie ins Fleisch, die arme Teddy ließ sich im Aufzug gar mit einem Behinderten ein und wurde schwanger. Ihre Verstörung hat aber einen anderen Grund. Sie war es, die dem Vater zuerst die Bratpfanne über den Kopf zog. Die Mutter wollte auf Nummer Sicher gehen und gönnte sich sieben Zugaben. Daß solch eine Mutter das junge Nesthäkchen fortan päppelt und die ältere Tochter Bliss eher wie ein Stück Dreck behandelt - wer hätte es sich nicht gedacht.

Am Ende spricht Teddy das belastende Geheimnis aus: Sie sei eigentlich die Mörderin. Und wie von Zauberhand geheilt, wirken alle plötzlich ganz normal. Zwar geht die Familie auseinander, den Familienmitgliedern aber geht es besser. Teddy sieht draußen auf dem Ast -wer hätte sich nicht auch das gedacht - einen Vogel sitzen. Und Mutter Jen wird plötzlich ganz tiefsinnig: „Tief in meiner Brust ist eine Schwärze vergraben, die du mir nicht hättest herausreißen können“, sagt sie zu Hank. Man muß solch ein Stück wohl so inszenieren, wie Regisseur K.D. Schmidt in Stuttgart - wenn man es überhaupt inszenieren muß: unter Aufbietung aller Kräfte; mit viel Theaterblut; kalten Platten, die durchs Zimmer fliegen; einer hysterischen Grundstimmung. Aber genau das macht es auch banal und durchschaubar. Es gibt nichts, was wir rundum psychologisch Aufgeklärten nicht schon längst wüßten. Lediglich Hank ist es gestattet, etwas Distanz zum Geschehen zu entwickeln und ein wenig Ruhe ins hysterische Geschehen zu bringen, wenigstens Thomas Goritzki als Hank trotzt dem Figuren-Grobschnitt der amerikanischen Autorin Nuancen ab.

Beth Henley machte mit ihrem Bühnenerstling Crimes of the Heart auf sich aufmerksam und schrieb das Drehbuch zur Verfilmung durch Bruce Beresford. Sie bewies damit wohl, was man amerikanischen Autoren und Autorinnen nachsagt: Sie seien handwerklich besser als ihre deutschen Kolleginnen und Kollegen. Das mag stimmen. Beim Debütantinnenball allerdings hätte man etwas weniger Handwerk durchaus ertragen.

Jürgen Berger

Regie: K.D. Schmidt. Bühnenbild: Katrin Brack. Kostüme: Jürgen Waldstein

Weitere Aufführungen: 21., 22., 23., 27., 29. und 30.März