Die Anderen zu den Volkskammerwahlen in der DDR: Daily Telegraph / Dagens Nyheter / La Voix du Nord / Information / Arbeiderbladet / The Japan Times / Der Standard / The Times / Republique du Centre / Les Echos

Daily Telegraph

Die konservative Zeitung zur Wahl:

40 Jahre Geschichte wurden von den Ostdeutschen mit einem Federstrich bei den Wahlen am Wochenende ungeschehen gemacht... Die Wähler sprachen sich für die Partei aus, die am klarsten 1.) die Union der beiden Nationen und 2.) die finanzielle Unterstützung versprach, die eine solche Heirat in naher Zukunft erst möglich macht... Es ist verständlich, daß Menschen in diesem Land (Großbritannien, die Red.) wie auch in Mitteleuropa noch geschichtliche Vorbehalte über das Wiederauftauchen von Europas Kernland, dem Aggressor zweier Weltkriege in diesem Jahrhundert, haben. Sie sollten ihre Sorgen dämpfen mit der Einsicht, daß das neue Deutschland demokratisch sein wird - im Gegensatz zum Kaiserreich - und wirtschaftlich stark - im Gegensatz zur Weimarer Republik.

Dagens Nyheter

Die liberale schwedische Zeitung meint, ein 'Dritter Weg‘ sei in der DDR mehrheitlich abgelehnt worden:

Die Hoffnungen und/oder Befürchtungen vom letzten Winter, daß die frei wählenden DDR-Bürger eine Art 'dritten Weg‘ zwischen Kommunismus und Kapitalismus bevorzugen würden, lösten sich in nichts auf. (...) Daß die SPD in der Stunde der Wahrheit nur 22 Prozent und die nach dem dritten Weg eifernden alternativen Parteien nur eine Handvoll Stimmen bekamen, zeigt eindeutig, daß eine deutliche Mehrheit der DDR-Bürger jeden deutschen Weg, der die Spur von Staatssozialismus trägt, ablehnt.

La Voix du Nord

Die unabhängige Zeitung aus Lille stellt fest:

Deutschland, und zwar sofort. Derart kann man den Wunsch der Wähler in der DDR resümieren. Bei ihren ersten freien Wahlen seit 1933 haben sie eine Entscheidung getroffen, die nicht klarer sein könnte: eine Entscheidung zugunsten der einfachen Verschmelzung mit der Bundesrepublik. Diese Männer und Frauen, denen es angeblich an der Wahrung ihrer Identitität oder zumindest einer gewissen Besonderheit gelegen war, haben an den Wahlurnen das Gegenteil bewiesen. Sie wollen nichts weiter, als so stark wie möglich und so schnell wie möglich ihren Brüdern und Schwestern 'auf der anderen Seite‘ gleichen.

Information

Die linksunabhängige dänische Zeitung ist der Ansicht, Vorwürfe an CDU-Wähler in der DDR wären falsch:

Niemand kann von draußen den CDU-Wählern in der DDR zum Vorwurf machen, daß sie lieber Golf als Trabi fahren, daß sie lieber Fernheizung als Kohleofen haben wollen, daß sie das ganze Jahr Apfelsinen für ihre Kinder kaufen wollen, daß sie nicht jahrelang auf den Anschluß eines Telefons warten möchten. Wenn die Wahl zwischen schnellem CDU- und langsamerem SPD-Wohlstand bestand, dann kann ihnen niemand vorwerfen, daß sie möglichst schnell das haben wollen, was wir anderen seit Jahrzehnten besitzen. Sollten einige der Politiker mehr versprochen haben, als sie halten können, dann haben die ostdeutschen Wähler ja - als Neuerung - die Möglichkeit, nächstes Mal andere zu wählen. Vielleicht schon am 2.Dezember, wenn der Bundestag gewählt wird, der bis auf weiteres noch in Bonn ist.

Arbeiderbladet

Das sozialdemokratische norwegische Blatt meint:

Kohl hatte es im Namen Groß-Deutschlands eilig. Des Kanzlers rücksichtslose Raserei hat die Polen erschreckt, Westdeutschlands Verbündete beunruhigt und Probleme innerhalb der westdeutschen Koalition erzeugt... Aber Kohls großdeutsche Linie ist in der DDR, nahe der Grenze zu Polen, auf fruchtbaren Boden gefallen. So gesehen ist das Wahlergebnis nicht geeignet, die Polen zu beruhigen, die nun fragen werden, wie sicher die polnische Grenze eigentlich ist. Wie wird ein gestärkter Kohl sich gegenüber deutschen Minoritäten verhalten, die 'heim ins Reich‘ wollen?

The Japan Times

Die konservative japanische Zeitung kommentiert Kohls „simple Botschaft“:

Kohls beispiellose Anziehungskraft an den Wahlurnen - er scheint in Ostdeutschland populärer zu sein, als er es jemals in Westdeutschland war - provozierte ein Anwachsen der konservativen Stärke. Am Sonntag erreichte die Allianz mehr als 48 Prozent der Stimmen. Angesichts der zersplitterten Natur der ostdeutschen Wähler-Loyalitäten war das ein verblüffender Erdrutsch. Kohls Botschaft war simpel. Die beste Garantie für künftigen Wohlstand und Freiheit für Ostdeutschlands 16 Millionen Bürger sei Einheit mit ihren westdeutschen Brüdern und Schwestern. In seinen Reden in Ostdeutschland wiederholte Kohl unermüdlich sein Versprechen, daß eine Stimme für die Konservativen eine Stimme für die Einheit sei.

Der Standard

Die liberale österreichische Tageszeitung wirft noch mal einen Blick auf die Wahlkampfhilfe der BRD-Parteien im DDR -Wahlkampf:

Und frei waren sie (die Wahlen, die Red.) zweifellos, wenn man damit meint, daß alle Gruppierungen, die kandidieren wollten, dies auch konnten, und nicht Gewalt oder Bespitzelung den DDR-Bürger in seinem Wahlrecht schmälerte. Ob man diesen ersten Versuch aber nicht dennoch einschränkend sogenannte freie Wahlen nennen müßte? Die Einmischung aus dem westdeutschen Ausland, und zwar von allen Parteien, noch als Wahlhilfe zu beschreiben, wäre eine Untertreibung. Zuletzt hatte man den Eindruck, hier träten Wahl-Kolonisatoren auf. Die DDR-Bürger haben natürlich nicht 'ihre‘ CDU gewählt, sondern die des Wahlkämpfers Helmut Kohl, nicht 'Böhmes‘ SPD, sondern jene Willy Brandts. Alle Bedenken beiseite wischend, ließen die Wähler ihren tiefen Sehnsüchten freien Lauf. Kohl hat sie besser und massiver angesprochen. Wenn da ein Erdrutsch war, dann war es einer von der BRD in die DDR.

The Times

Das traditionsreiche Londoner Blatt bemerkt zu den Perspektiven nach der Volkskammerwahl:

Indem sie der konservativen Dreiparteienkoalition 'Allianz für Deutschland‘ eine beachtliche Mehrheit verschafften, haben die Ostdeutschen eindeutig für die raschest mögliche Vereinigung votiert. Das Ergebnis ist ein Triumph für Bundeskanzler Helmut Kohl, der die Sehnsucht des Volkes danach, am westlichen Wohlstand teilzuhaben und so schnell wie möglich zu einer neuen Identität zu finden, richtig erkannt hatte... Jetzt ist es an Bonn, im Vereinigungsprozeß ein Höchstmaß an Sensibilität an den Tag zu legen, eine Eigenschaft, für die Kohl nicht gerade bekannt ist... Er hat sich als Mann dargestellt, der imstande ist, etwas zu bewegen, und damit hat er Erwartungen geweckt, die schwer zu erfüllen sein werden und möglicherweise sogar dazu führen könnten, daß der Strom der Ostdeutschen in das Land des Überflusses noch zunimmt. Wenn er versagt, wird man ihm allein die Schuld geben, und die Sozialdemokraten auf beiden Seiten werden nicht zögern, genau das zu tun. Die Ursache dafür, daß die Ost-SPD zögert, einer Großen Koalition beizutreten, liegt zweifellos in der verlockenden Aussicht, aus der Enttäuschung, den Sorgen und der Unsicherheit, der Arbeitslosigkeit und anderen westlichen Krankheiten Kapital schlagen zu können, die den Vereinigungsprozeß begleiten werden. Aus dem gewaltigen Auftrieb für Kohl als Ergebnis der Wahl am Sonntag sollte keineswegs schon auf einen Erfolg der Christlichen Demokraten bei den Wahlen im Dezember geschlossen werden. Die Ergebnisse geben ihm sehr viel Bewegungsfreiheit. Er sollte sie zur Schaffung eines Landes nutzen, das mit sich selbst im Frieden lebt und seinen Nachbarn Vertrauen einflößt.

Republique du Centre

Das rechtsliberale Blatt aus Orleans sieht die DDR auf dem Weg „vom Marxismus zum Markismus“:

Seit Sonntag ist der Mainzer Riese noch etwas unbequemer geworden. Diejenigen, die von einer kontrollierten Wiedervereinigung träumen, sind wieder einmal von den Ereignissen überholt worden. Die Ostdeutschen haben leichten Herzens für die Auflösung ihres Landes in einem neuen Deutschland gestimmt. Die DDR hat sich ohne Vorbehalte dem 'Markismus‘ verschrieben. Die Faszination der D-Mark hat alle anderen Erwägungen beseite gedrängt, vor allem die europäischen Verpflichtungen. Für die UdSSR, die die DDR zu einem Schaufenster des triumphierenden Kommunismus gemacht hatte, ist das eine schallende Ohrfeige. Aber auch die Europäer müssen sich auf mehr oder weniger schmerzliche gründliche Veränderungen gefaßt machen. Frankreich beispielsweise: Trotz des deutschen Wirtschaftswachstums hatte es immer versucht, Deutschland politisch unter seine Abhängigkeit zu bringen. Die Zeiten sind jetzt endgültig vorbei.

Les Echos

Die französische Wirtschaftszeitung zu den eher unausgesprochenen Problemen des Wahlergebnisses:

Ohne es offen zuzugeben, bedauern die Europäer im Grunde den überwältigenden Sieg von Kohl, der in den letzten Monaten seine Verbündeten und Nachbarn durch eine gewisse Arroganz und die Zweideutigkeit seiner Stellungnahmen verärgert hatte. Um zu verhindern, daß der Bundeskanzler sich wieder den alten Dämonen zuwendet, müssen die Europäer im Osten wie im Westen solide Garantien auf dem Gebiet der Sicherheit und der europäischen Einigung fordern. Helmut Kohl wird sich bemühen müssen, die Statur eines echten europäischen Staatsmannes zu erlangen, selbst wenn er dafür ein gewisses demagogisches Verhalten ablegen und mehrere hunderttausend Stimmen bei den Bundestagswahlen opfern muß, weil er den chauvinistischsten und reaktionärsten Teil seiner Wählerschaft verliert.