Pogrom in Siebenbürgen

Schwerverletzte bei Ausschreitungen rumänischer Nationalisten gegen ungarische Minderheit Feindliche Stimmung wie zu Zeiten Ceausescus / Ungarn fordern kulturelle Autonomie  ■  Aus Cluj Roland Hofwiler

Mindestens elf Schwerverletzte sind die Hinterlassenschaft eines Angriffs rumänischer Nationalisten auf das Büro der „Demokratischen Union der Ungarn in Rumänien“ in der Provinzstadt Tirgu Mures. Hunderte Rumänen waren in der Nacht zu Dienstag nach einer genehmigten Demonstration gegen die Aktivitäten der „Demokratischen Union“ in deren Gebäude eingedrungen und hatten auf Menschen und Mobiliar eingeschlagen. In den Augen vieler Rumänen ist die „Demokratische Union“ ein Hort „separatistischer und nationalfeindlicher Aktivitäten“. Gestern demonstrierten 100.00 Ungarn in Tirgu Mures wegen der Ausschreitungen. Ein Mitarbeiter der Regierung bezeichnete die Lage als „sehr ernst“.

Kaum drei Monate nach dem Sturz Ceausescus stehen sich im siebenbürgischen Vielvölkerschmelztiegel Rumänen und Ungarn so feindlich gegenüber wie zu Zeiten der Diktatur. Schmierereien wie „Ungarn raus aus Siebenbürgen“ oder „Rumänien den Rumänen“ sind an der Tagesordnung. Ein rumänisch-nationaler Kulturbund mit dem bezeichnenden Namen „Rumänische Heimatflamme“, der auch in Tirgu Mures als Drahtzieher der Ausschreitungen angesehen wird, schürt nach Meinung vieler den nationalen Haß. Die Wortführer um den Hochschulprofessor Zeno Opris sprechen bei Versammlungen mit bis zu 10.000 Zuhörern aus, was die Menschen an den Minderheiten „stört“: Anstatt sich als Teil der „rumänischen Nation“ zu bekennen, pochten vor allem Juden und Ungarn auf ihre „Besonderheiten“, so Opris. Der Ort Tirgu Mures ist mehrheitlich ungarisch bewohnt, in Cluj (Klausenburg) stellen Ungarn 25 Prozent der 300.000 Einwohner. In zahlreichen Dörfern im Szeklerland bilden die Rumänen eine verschwindende Minderheit. Wen wundert es, daß vor allem dort die volle Kulturautonomie gefordert wird: Errichtung eines ungarischen Schulsystems, Ungarisch als Amtssprache in Gegenden mit mehrheitlicher Bevölkerungsstruktur und zweisprachige Ortstafeln. Forderungen, die selbst bei kritischen rumänischen Geistern auf taube Ohren stoßen.

Das ruft die Ungarn zu neuen Protestaktionen auf: Seit dem 7.März bleiben Schulkinder in Tirgu Mures und seit ein paar Tagen auch in Oradea (Großwardein) vom Unterricht fern. An zahlreichen Rathäusern kann man auf zweisprachigen Tafeln lesen „Wir fordern Zweisprachigkeit“ und „Wir sind Ungarn, keine Rumänen“.

Die „Rumänische Heimatflamme“ andererseits beklagt in der Tageszeitung 'Unirea‘: „Wird man die Rumänen in ihrer eigenen Heimat nur noch dulden? In welcher Demokratie gibt es das, daß eine Minderheit eine Mehrheit ausschließt von der Sprache, von Schulen, von Gerichten, von Behörden usw. Gegenüber dem, was die Ungarn fordern, ist die Apartheid gar nichts“. Selbst die provisorische Regierung, die „Front der nationalen Rettung“ reagiert mit Unverständnis. Anstatt der ungarischen Minderheit entgegenzukommen, setzte sie ein neues Dekret in Kraft, das fatal an die Dekretepolitik Ceausescus erinnert: Außer der Bibel dürfen vorübergehend keine ungarischsprachigen Lehrbücher und belletristischen Werke aus dem Ausland mehr an Privatpersonen versandt werden, nur an die staatliche Bibliothekars-, sprich Zensurbehörde.