Bewährungsprobe für das „Modell Namibia“

■ Afrikas letzte Kolonie feiert heute vor den Augen der Welt seine Unabhängigkeit / Aus Windhuk Hans Brandt

Die kleine Wüstenpiste bei Windhuk verzeichnete am Dienstag eine Rekordzahl von Landungen: Politprominenz aus der ganzen Welt ist zu Gast bei den Feierlichkeiten zur Unabhängigkeit Namibias. Der moderate Kurs der Swapo seit ihrem Sieg bei den von der UNO überwachten Wahlen im November '89 hat sich ausgezahlt: Die Weißen blieben mehrheitlich im Land. Größte Herausforderung für das unabhängige Namibia wird sein, die Bedürfnisse der Schwarzen zufriedenzustellen, ohne die Weißen vor den Kopf zu stoßen.

„Die Welt spricht jetzt von dem 'Modell Namibia‘ - ein Lob für die Entschlossenheit, Zurückhaltung, Toleranz und politische Reife, die Namibier gezeigt haben, indem sie sich im Zeichen der nationalen Versöhnung vereinen“, schwärmte UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar am Dienstag bei seiner Ankunft in Namibia. Die Unabhängigkeit Namibias sei „die Erfüllung eines Traumes, der für die Vereinten Nationen seit ihren Anfängen von zentraler Bedeutung war“. Perez hat allen Grund zur Freude. Für die UNO war der am 1. April letzten Jahres begonnene Unabhängigkeitsprozeß in Namibia trotz aller Schwierigkeiten ein großer Erfolg. Am Ende blieben sogar noch etwa zehn Prozent des Etats von 460 Millionen US-Dollar übrig - für die spendierfreudige Weltorganisation fast unerhört.

Für Namibia ist der Prozeß aber keineswegs abgeschlossen. Mit der Unabhängigkeit beginnt ein historischer Zeitabschnitt, der für die langfristige Zukunft des Landes entscheidend sein wird. Wird das Land die langen Jahre der Rassendiskriminierung, der Ausbeutung und Unterdrückung überwinden können? Wird die südwestafrikanische Volksorganisation Swapo sich von einer nach militärischen Gesichtspunkten aufgebauten Befreiungs bewegung zu einer demokratisch kontrollierbaren Regierungspartei mausern können? Wird die Unabhängigkeit des Landes Konflikte in der Region lösen helfen? Die neue Regierung wird den hochgesteckten Erwartungen in der eigenen Bevölkerung, bei den Nachbarländern und in der ganzen Welt gerecht werden müssen.

Swapo-Chef Sam Nujoma hat erste wichtige Schritte dazu unternommen. Er hat zwei für die Wirtschaft und die Weißen entscheidende Ministerien Weißen übergeben, denen man nicht gerade ihre Verbundenheit mit der Swapo nachsagen kann: Finanzminister ist der deutschstämmige Geschäftsmann und Ökonom Otto Herrigel. Für die Landwirtschaft ist gar ein Apartheid-Befürworter zuständig, der Bure Gerhard Hanekom. Bisher hat sich diese Versöhnungspolitik als durchaus erfolgreich bewährt: Die Weißen sind in Namibia geblieben. Und sogar bekannte Konservative scheinen sich über die Unabhängigkeit zu freuen. Auch sie sagen jetzt, daß sie die Fremdbestimmung ihres Landes durch Südafrika leid sind, daß sie sich auf die Möglichkeit freuen, das Schicksal ihres Landes selbst in die Hand nehmen zu können. „Mit denen kann man reden“, meinen jetzt weiße Geschäftsleute, die noch vor einem Jahr kräftig zur Finanzierung der südafrikanischen Besatzung des Landes beigetragen hatten.

Doch die Versöhnungspolitik hat auch ihre Kritiker: „Es ist schade, daß diejenigen, die ihr Leben im Kampf für die Freiheit auf dem Schlachtfeld verloren haben, heute nicht gewürdigt werden können“, schrieb die Zeitung 'The Namibian‘ gestern in einem Leitartikel. „Wir verstehen, daß Versöhnung das verhindert... Es ist nicht fair, daß eine 'nationale Versöhnung‘ uns die wahren Freiheitskämpfer vorenthält.“ Die Zeitung fragt zudem, warum nur die Versöhnung der Schwarzen mit den Weißen, der Unterdrückten mit dem Unterdrücker betont wird. „Wir müssen uns auch versöhnen mit denjenigen, die zu Recht oder zu Unrecht der Zusammenarbeit mit den Gegnern von Freiheit und Unabhängigkeit beschuldigt wurden.“

Interne „Dissidenten“

Das ist ein Hinweis auf Hunderte von internen „Dissidenten“, die die Swapo im Laufe des Befreiungskampfes als Spione denunziert, in Gefangenenlagern festgehalten, gefoltert und zum Teil getötet hat. Viele dieser ehemaligen Gefangenen forderten nach ihrer Rückkehr nach Namibia eine interne Swapo-Untersuchung dieser Vorgänge und die Bestrafung der Verantwortlichen. Nujoma hat auf diese Forderungen reagiert, indem er die Notwendigkeit der Versöhnung betonte: „Laßt uns die Vergangenheit vergessen und zusammen für eine gute Zukunft arbeiten“, sagte er. „Wir können uns nicht von unserer Geschichte lösen“, sagt hingegen die Rechtsanwältin Bience Gawanas, ehemalige Gefangene der Swapo, aber immer noch Mitglied der Organisation. „Wenn Versöhnung Wirklichkeit werden soll, müssen wir aus der Vergangenheit lernen und alte Fehler vermeiden.“

Die Weigerung der Swapo-Führung, gegen die Mißachtung der Menschenrechte in den eigenen Reihen vorzugehen, ist nur ein Zeichen für die Schwierigkeiten der Organisation, interne Demokratie Realität werden zu lassen. Auch im Umgang mit den bisher unabhängigen Gewerkschaften in Namibia gibt es Probleme. Die Gewerkschaften haben als Unterstützer der Swapo eine entscheidende Rolle in Namibia gespielt. Ihre Unabhängigkeit von politischen Organisationen war dabei oft ausschlaggebend.

Doch nach mehreren Jahrzehnten im Exil wurde der Swapo -Beauftragte für Arbeit, John Ya Otto, letztes Jahr prompt zum Generalsekretär der Gewerkschaftsföderation NUNW gewählt. Seitdem ist die Unabhängigkeit der Gewerkschaften in Gefahr. Einzelgewerkschaften dürfen ohne Ya Ottos Zustimmung keine Presseerklärungen abgeben, die NUNW -Medieneinheit darf ohne sein Placet keine Plakate entwerfen. Die Kritik, daß die Versöhnungspolitik sich an weiße Arbeitgeber richtet, die nicht die Interessen der Arbeiter vertreten, ist nur unterschwellig zu hören. Die interne Basisdemokratie, auf die die Gewerkschaften so stolz waren, scheint aufgegeben worden zu sein. Ya Otto folgt heute weitestgehend den Vorgaben der Swapo.

Die Zweifel an der Swapo und der zögernde Glaube an die Fähigkeiten der Organisation, sich zur demokratischen Regierungspartei zu entwickeln, stellen ein zukünftiges „Modell Namibia“ erst mal in Frage. Aber tatsächlich wird Namibia zu einem Zeitpunkt unabhängig, der für die gesamte Region von Bedeutung ist. Eng verbunden mit dem Unabhängigkeitsprozeß in Namibia ist die Entwicklung im benachbarten Angola. Dort sind bisher alle Bemühungen, zwischen der linken Regierung unter Präsident Jose Eduardo dos Santos und den von Südafrika und den USA unterstützten Unita-Rebellen unter Jonas Savimbi Frieden zu stiften, gescheitert.

Abbau von

Apartheidstrukturen

Doch am Rande der heutigen Unabhängigkeitsfeiern zeichnet sich eine neue Initiative in Angola ab. Südafrikas Präsident Frederick de Klerk traf sich zu ausführlichen Gesprächen mit dos Santos in Windhuk. Am Vortag hatte de Klerk mit dem US -Außenminister Baker gesprochen. Dann traf dos Santos mit Baker zusammen. Nun ist die Rede von einem Waffenstillstand zwischen Regierung und Unita. Sogar der Einsatz von UNO -Friedenstruppen wird erwogen. Der Erfolg der UNO in Namibia macht einen solchen Einsatz in Angola immer wahrscheinlicher.

Auch die Entwicklungen in Südafrika könnten durch die Unabhängigkeit Namibias neue Impulse bekommen. Neben de Klerk kam als offizieller Gast zu den Unabhängigkeitsfeiern der ANC-Vizepräsident Nelson Mandela aus Südafrika. Mandela selbst hat in seinen Aussagen seit seiner Freilassung Mitte Februar die Notwendigkeit der Versöhnung mit den Weißen Südafrikas betont. Seine Aussagen zeigen deutliche Parallelen mit denen Nujomas. Für Südafrikas Weiße ist die Entwicklung durchaus beruhigend.

Entscheidend wird zudem sein, wie die Swapo-Regierung mit dem Abbau von Apartheidstrukturen in Namibia umgehen wird. Da geht es beispielsweise um elf verschiedene Verwaltungen für unterschiedliche Rassen. Die Rationalisierung, die durch die Verschmelzung dieser Strukturen in eine einzige Verwaltung erreicht werden kann, zieht allerdings auch die Entlassung zahlreicher Beamter nach sich.

Die Unabhängigkeit Namibias wird von der schwarzen Mehrheit in Südafrika vor allem als ein Sieg gegen die Apartheid gefeiert werden. Das wiederum könnte dem Widerstand gegen die Rassenpolitik in Südafrika neuen Auftrieb geben. Dabei werden die Schwarzen in Südafrika sicher besonders darauf achten, wie die Mehrheit der Bevölkerung in Namibia von der Unabhängigkeit profitieren wird. Und ob das „Modell Namibia“ in dieser Frage beispielhaft vorangeht, ist noch nicht ausgemacht.

Siehe auch Kommentar auf Seite 10