Zukunft „klammflistig glogalgeplant“

■ Bürgerschaft debattierte Senatsplanung: Je falscher die Prognosen, desto besser die Politik

Was für die alten Griechen das Orakel zu Delphi war und für zeitgenössische Schwiegermütter mit Sorgen ums Eheglück der einzigen Tochter die Glaskugel in der Jahrmarktsbude, ist für den Bremer Senat die sogenannte „Langfristige Globalplanung“: Nach allen Regeln von Augurenkunst und Wahrscheinlichkeitsrechnung versuchte Mitte der 80er Jahre ein Beamten-Team neuzeitlicher Nachfolger von Phythia und Kassandra Bremens Zukunft der 90er Jahre weiszusagen. Per „Langfistige Globalplanung“ sollten Bevölkerungsentwicklung, Arbeitslosenzahlen, Wirtschaftswachstum usw. erraten werden.

Man muß das Wort nur aussprechen (Versuchen Sie's dreimal ganz schnell hintereinander „Langfristige Globalplanung, Blangkristige Blogaalpalnung, Glammbrristige Logaalvla

nunng) um das Wesen jeder Langfristigen Globalplanung zu erkennen: Es liegt in ihrem Scheitern. Kein Bürgerschaftsabgeordneter, Präsident Dieter Klink eingeschlossen, der das Wort in der gestrigen Bürgerschaftsdebatte in den Mund nahm, ohne daß es sich augenblicklich durch die Entgleisung seiner Rede zu einem konvulsivischen Lallen gerächt hätte.

Als ersten erwischte es CDU-Fraktions-Vize Günter Klein. Klein wollte nämlich - über das artikulatorische hinaus auch das statistisch-empirische Scheitern aller Regierungsprognosen festgestellt wissen. „Völlig versagt“ habe der Senat bei seinen Hochrechnungen, „schwerwiegende Fehler“ seien in das Szenario eingebaut gewesen und darauf wiederum falsche politische Entscheidungen namens „STEP“ und „PEP“ gegründet worden. (Man ahnt plötzlich den geheimen Sinn dieser Abkürzungen für „Bremer Schulstandortkonzept“ bzw. „Personalentwicklungsplanung“ im öffentlichen Dienst. Nicht auszudenken die Zahl der schlaflosen Abgeordneten -Nächte vor der schicksalhaften Aussicht, mit „langfristig globaler Personalentwicklungspla

nung“ rhetorisch zu versagen und eine scharf gemeinte Attacke als allgemeine Heiterkeitserfolge umschlagen zu sehen.)

Allerdings: Auch ohne solche rhetorische Klippen drohte Kleins Abrechnung mit der Rechenfähigkeit des Senats sich gestern in logischen Aporien zu verstricken: Aus christdemokratischer Sicht müßten nämlich gerade die falschen Senats-Zahlen zu „richtiger“ Senats-Politik geführt haben. Nur weil der Senat bei seinen Prognosen um runde 45.000 BremerInnen danebenlag, konnten in der Sozial -und Bildungspolitik, bei Wohnungsbau-und Kindergarten -Planung radikale Sparkonzepte durchgesetzt werden.

In einer Art logischem Purzelbaum rang sich zu dieser Erkenntnis gestern denn auch FDP-Fraktionschef Jäger durch. Für Jäger hat die statistische Unfähigkeit der Senatskanzlei nämlich ausgesprochen segensreiche Folgen gehabt: Sozusagen wider Willen habe der sozialdemokratische Senat freidemokratisch Politik gemacht. Nicht auszudenken, so Jäger, wenn der Senat damals von realistischeren Bevölkerungszahlen ausgegangen wäre und ein inzwischen empirisch bestätigtes

Minderheitenvotum (vgl. taz vom 7.3.) nicht in den Giftschrank verbannt hätte: Der Beamtenapparat wäre noch weiter aufgebläht worden, Bremen in weitere Schulden gestürzt worden.

Richtige Prognosen - falsche Prognosen: Dem grünen Abgeordenten Paul Tiefenbach sind die weissagerischen Fähigkeiten des Senats sowieso ziemlich schnuppe. Vieles sei eben nicht vorhersehbar gewesen, nahm Tiefenbach den Senat ausdrücklich in Schutz und zeigte wenig Lust, „rechthaberisch über Fehler der Vergangenheit“ zu streiten. Tiefenbach: „Im Nachhinein ist man immer schlauer.“ Hauptsache, der Senat zieht nun auch Konsequenzen aus den „z.T. unvorhersehbaren Entwicklungen“.

Das war eine Linie, auf die sich auch SPD-Fraktionchef Claus Dittbrenner und Finanzsenator Claus Grobecker einlassen konnten. Für Dittbrenner und Grobekker dienen Prognosen nämlich vor allem dazu, daß sie sich nicht erfüllen: Wenn man weiß, was kommen könnte, kann man politisch gegensteuern. Einräumen mochte Dittbrenner: „Die Überarbeitung der überholter Prognosen hat in der Vergangenheit zu lange gedauert.“

K.S.