Schnelle Bierchen oder auf die Weltreise warten?

■ Was machen junge DDR-Bürger mit ihrem schmalen DM-Portemonnaie? / Nicht alle sind gewieft genug, um die 200 DM aus dem Reisedevisenfonds schnell zu vermehren, und so enden viele Reisepläne vorzeitig / Schmeckt ein Kebab für umgerechnet 20 Mark?

„Mein Gott, ich bin total dem Döner Kebab verfallen. Hoffentlich gibt es die bald in unserer Hälfte, sonst geb‘ ich meine ganzen 200 DM für Döner aus.“ So stöhnte gestern an einer Imbißbude vor mir ein junger Mann. Wenn man bedenkt, daß DDR-Bürger im günstigsten Fall ihr Geld im Umtauschsatz 1:3 wechseln, kostet ihnen so ein Imbißvergnügen umgerechnet 10,50 Ost-Mark und im ungüstigsten über 20 DM. In Anbetracht der Tatsache, daß sie dafür im teuersten Interhotel in Ost-Berlin ein ganzes Mittagessen bekommen und man die Umtauschsätze der Westberliner dagegensetzt, ist das eklatante Mißverhältnis offensichtlich. Es ist also überhaupt nicht verwunderlich, wenn sich DDR-Bürger auf die unmöglichsten Bedingungen und Arbeiten einlassen, um irgendwie zusätzlich zu mehr Westgeld zukommen. Da gehen Schüler aus grenznahen Gebieten nach dem Unterricht in den Supermärkten auf der anderen Seite Kisten schleppen, in den Anzeigen der Zeitungen werden Jobs gesucht und sogar angeboten, viele versuchen in Verkaufsstellen oder Kneipen als Aushilfe für ein paar Stunden unterzukommen oder irgendwo Büroräume zu putzen, oder wer die Möglichkeit hat, vermietet Wohnraum im Ostteil der Stadt für Westkohle. Von den vielen kleinen und geschickt lavierenden Strohmännern, die für westliche Unternehmen legal und illegal Geschäfte vermitteln und dafür fette Provisionen einstreichen, soll hier gar nicht die Rede sein.

Wer nicht zu den wendigen oder geschäftstüchtigen Zeitgenossen zählt - und das sind vor allem viele Intellektuelle -, bemerkt zwar mit fatalistischem Schulterzucken all diese Aktivitäten seiner Mitbürger, doch zu ähnlichen Aktionen fehlt ihnen entweder die Lust oder die Zeit. Die wenigsten von ihnen möchten sich zum Beispiel auf die Straße stellen und für die westliche Regenbogenpresse als Zeitungsverkäufer arbeiten. Was machen sie also mit ihren 200 DM, die sie aus dem Reisedevisenfonds für 600 Mark kaufen können? Die meisten sagen darauf kurz und knapp: „In West-Berlin auf den Kopf hauen!“ Ein Großteil der Leute kauft sich selbstverständlich auch Bücher oder was sie sonst noch brauchen und in Ost-Berlin nicht bekommen können. Doch im Grundprinzip ist es bei allen das Gleiche. Entweder sie geben ihr Geld aus oder sparen es und machen dann Kurzurlaub. „Irgendwas ganz Irres, Konserven mitnehmen und so, und wenn das Geld alle ist, eben wieder nach Hause.“ Das haben sie schon seit Jahren praktiziert, wenn sie in das für DDR-Bürger erheblich teurere Bruderland Ungarn fuhren. Wer sparen will, hat es sehr schwer und begibt sich am besten der Vorstellung halber wieder in die Zeit vor dem Mauerfall, denn selbst der noch so kurze Aufenthalt bietet hunderte von Versuchungen, sein Geld los zu werden, und die meisten verfallen den vielen Verlockungen dann doch irgendwann. Während am Anfang des Jahres noch viele in Träumen von ganz neuen Urlaubszielen schwelgten, hört man inzwischen doch schon wieder für DDR-Bürger ganz normale Urlaubsorte wie Ostsee, Mecklenburg oder Tschechoslowakei. Die 200 DM, die viele - mit Schaffung des Reisefonds - als Chance für die Verwirklichung langgehegter Urlaubsträume betrachteten, wissen inzwischen, daß daraus wohl vorerst nichts wird. Die CDU hat genau gewußt, was sie tat, als sie die Währungsunion versprach, denn viele werden in der Wahlkabine auch an ihren nächsten Urlaub gedacht haben.

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