Sündenbock auf Bestellung

Joseph Hazelwood, der Unglückskapitan der havarierten „Exxon Valdez“, verhielt sich in den sechs Wochen seines Gerichtsverfahrens in Anchorage, wie es einem echten Seebären geziemt: Er schwieg. Dem Ex-Kapitän wird vorgeworfen, grob fahrlässig gehandelt zu haben: Hazelwood war zum Zeitpunkt des Aufpralls auf das „Bligh Riff“ nicht auf der Brücke. Das Kommando hatte er dem dritten Maat übergeben, der jedoch für die Navigation im Sund keine Lizenz besaß. Außerdem wirft die Anklage Hazelwood vor, daß er zum Zeitpunkt der Katastrophe getrunken habe. Nun müssen die Geschworenen anhand von Navigationskarten, Computeranalysen und widersprüchlichen Aussagen von Medizinern und Schiffahrtsexperten entscheiden, ob Joseph Hazelwood schuldig ist. Bei einem Schuldspruch erwarten den von Exxon nach dem Unfall fristlos gefeuerten Kapitän bis zu sieben Jahre Gefängnis und 60.000 Dollar Geldbuße.

Insbesondere die Aussagen zu Hazelwoods Alkoholpegel sind völlig widersprüchlich: Die einen wollen ihn vor dem Auslaufen der „Exxon Valdez“ beim Vodka im „Pipeline Club“ gesehen haben. Andere sind sich darin einig, daß Gang und Sprache des Käpitäns völlig normal gewesen seien. Ein Mediziner erklärte, daß Hazelwoods Alkoholspiegel elf Stunden nach dem Unfall auf unzulässige Trunkenheit zur Zeit des Aufpralls schließen läßt. Wie immer sich die Jury entscheidet: Das Verfahren gegen Hazelwood ist inzwischen zum Nebenschauplatz inmitten der Prozeßlawine, die auf Exxon zurollt, geworden. Ein Großteil der Bevölkerung Alaskas macht ohnehin die Erdölindustrie und nicht Hazelwood für die Katastrophe verantwortlich.

Über den Inhalt einer im Januar veröffentlichten Studie über den Hintergrund des Tankerunglücks sind offenbar die Geschworenen nicht informiert. Sonst dürfte ihnen das Urteil leichter fallen: Sie würden den Schuldigen nicht auf der Anklagebank, sondern im sonnigen Kalifornien suchen. „Sicherheit“, so heißt es in der von der „Alaska Oil Spill Commission“ im Auftrag des Staates erstellten Studie, sei in „dieser Laissez-faire-Umgebung der Reagan-Administration“ ein Fremdwort gewesen. Die Studie belegt, daß die „Exxon Valdez“ mit größter Wahrscheinlichkeit nicht auf das Riff gelaufen wäre, hätte man 1977 festgelegte Sicherheitsbestimmungen befolgt: Tanker im Prinz-William -Sund, so die Bestimmungen, bleiben zu jeder Zeit in ihren Fahrrinnen und müssen ihre Geschwindigkeit in der Umgebung von Eis auf ein Minimum drosseln. Diese Sicherheitsrichtlinien konnte Alaska jedoch nicht durchsetzen, weil die Ölindustrie mit Unterstützung der Reagan-Administration erfolgreich dagegen prozessiert hatte. Als die „Exxon Valdez“ leck schlug, hatte sie die Fahrrinne bei voller Geschwindigkeit verlassen, um Eisbergen auszuweichen. „Die Bestimmungen“, so schließt der Bericht, „wurden kontinuierlich verletzt, um zu gewährleisten, daß Tanker beim Durchqueren des Prinz-William-Sunds keine Zeit verlieren...“