Männer weinen nicht

■ Hilflos, aber entschlossen rücken Amerikas Pioniere Alaskas Natur erneut auf den Pelz

Ein Szenario wie dieses hatten die Sicherheitslogistiker der Ölindustrie nicht mal in ihren schlimmsten Alpträumen vorweggenommen. Amerikas Umweltgewissen heulte auf, der Multi und sein betrunkener Fährmann wurden über Nacht zu Todfeinden jeglichen Lebens erklärt. Kein Wort über die immanenten Gefahren von Ölförderung und Transport der heißen Ware, von dem Amerikas Puls vermeintlich so sehr abhängt. „Alaska - das ist die Pipeline. Leute, die behaupten, das Land könne auch ohne das Öl, ohne die Apanagen aus dem Geschäft mit dem schwarzen Gold auskommen, sind Träumer.“ Das sagen einem in Alaska nicht nur ausgemachte Hardliner.

Im April des vergangenen Jahres wurden die ersten ohnehin vom Aussterben bedrohten Weißkopfwappentiere aus dem Ölschlick des Sunds gezogen. Als am Ende Zehntausende Tiere krepiert waren und jede Insel bis in die letzte Spalte hinein mit Exxon-Öl durchtränkt war, da schien vielen, als sei hier die unerreichbar geglaubte Grenze, die frontier, endgültig erreicht, wenn nicht überschritten worden. Aber schließlich ist Alaska Männerland. Und Männer weinen bekanntlich nicht. So zogen sie zu Tausenden an die Front, um die Herausforderung anzunehmen - mit demselben Machbarkeitswahn, der sie seit den Tagen des Pipeline-Baus umgetrieben hat. „Go north“, hieß schon die Devise in den Tagen der Mär vom Gold im Klondike.

Frontier symbolisiert Überfluß und Herausforderung - da wo jeder seine Chance hat. Und dieser Glaube kann den Amerikanern nicht mal durch eine „Panne“ wie die Ölpest im Prinz-William-Sund genommen werden; deren Bewältigung sei ein rein technisches Problem. Und überhaupt: „Mother nature“, so wollen es Amerikas postindustrielle Pioniere die ansonsten der Natur keine Spurbreit übern Weg trauen „wird's schon richten“.

Das Leck, die häßlich klaffende Wunde, hatte der Tanker. Und der liegt im Trockendock von San Diego. Aber die Wunde, die die hausgemachte Katastrophe im Körper Alaskas hinterließ, blutet auch ein Jahr nach der Havarie. Und für den Frühling 1990 haben, so scheint es, die Männer in den Chefetagen von New Jersey wiederum nichts weiter in Petto als den fortgesetzten Blitzkrieg gegen die Natur: Das ökologische Desaster wird in eine militärische Herausforderung umgedeutet - weniger aus Entschlossenheit, denn aus Hilflosigkeit. Und dabei ist Geld das einzige Know-how im Kampf gegen das außer Rand und Band geratene Lebenselixier der industrialisierten Welt.

Am 1. Mai werden Exxons Söldner sich wieder mit Hubschraubern, Kleinflugzeugen, Marineschiffen, Schrubbern und Feudeln über die ölverseuchten Küsten hermachen - um anschließend mit porentief reinem Gewissen und immer im Dienste des Fortschritts weiter in den Wunden von „mother nature“ herumzustochern - sei es an der arktischen Prudhoe Bay, in der unzugänglichen Brooks Range oder weiter westlich in der Bristol Bay. Tradition verpflichtet.

Henk Raijer