Kreml erschwert raschen Unionsaustritt

■ Während Litauen weiter am Unabhängigkeitskurs festhält, billigt Oberster Sowjet der UdSSR in erster Lesung neues Gesetz / Austritt aus Union nur nach Referendum und Wartezeit / Schewardnadse betont: Keine Gewalt

Moskau (dpa/afp/ap) - Vor dem Hintergrund der anhaltenden Differenzen zwischen Litauen und der Sowjetunion hat der Unionsrat des Obersten Sowjet am Mittwoch in Moskau in erster von drei Lesungen ein Gesetz gebilligt, das einen Austritt aus der UdSSR nur nach einem Referendum und einer fünfjährigen Übergangsfrist vorsieht. Der als Beobachter an der Sitzung teilnehmende litauische Delegierte Vaidotas Antanaitis sprach sich hingegen dafür aus, in dem Gesetz die historischen und wirtschaftlichen Unterschiede einzelner Republiken festzuhalten.

Zugleich wurde aus Wilna bekannt, daß das litauische Parlament noch in dieser Woche ein Gesetz über die Staatsgrenze verabschieden und mit der Aufstellung von Grenzpfählen beginnen wolle. Nach Angaben einer litauischen Journalistin wurde zudem mit der Anwerbung von Freiwilligen für die künftigen Grenztruppen begonnen. Die Sicherung der sowjetischen Grenzen untersteht dem KGB -Staatssicherheitsdienst.

Das Gesetz über einen Austritt aus der UdSSR war vom Kongreß der Volksdeputierten in der vergangenen Woche vorrangig an den Obersten Sowjet verwiesen worden. Der Entwurf sieht vor, daß der Oberste Sowjet einer Republik oder mindestens zehn Prozent ihrer Bewohner ein Referendum über eine Sezession beantragen müssen. Für einen Austritt müssen sich in der Volksabstimmung mindestens zwei Drittel der Bürger aussprechen. Das Ergebnis des Referendums soll endgültig sein. Die Republik wird demnach ihre Unabhängigkeit erst nach einer Wartezeit von fünf Jahren erhalten, während der wirtschaftliche und finanzielle Fragen geklärt werden sollen. Der vom Unionsrat verabschiedete Entwurf wird nun dem Nationalitätenrat, der zweiten Kammer, vorgelegt.

Die Lage in Wilna war gestern ruhig. Der Oberste Rat der Republik Litauen hat mit den Beratungen über die Struktur der neuen Staatsregierung begonnen. Gegen die sowjetischen Truppenbewegungen auf dem Gebiet Litauens hatte die Ministerpräsidentin der Republik, Kazimiera Prunskiene, am Dienstag eine Prostestnote an den Präsidenten der UdSSR, Gorbatschow, gerichtet. Gorbatschow wird aufgefordert, über die Anwesenheit sowjetischer Truppen in Litauen und andere Themen zu verhandeln. Am gleichen Tag hatte der sowjetische Außenminister Schewardnadse bei einem Gespräch mit seinem US -Kollegen James Baker in der namibischen Hauptstadt Windhuk versichert, daß Moskau keine Gewalt gegen Litauen einsetzen werde.

Der Vorsitzende der lettischen Volksfront, Dainis Ivan, kündigte gestern an, daß Lettland dem Weg Litauens in die Unabhängigkeit von der Sowjetunion folgen will.