Häftling 64.401 hat überlebt

■ Adolf Burger berichtete GSO-SchülerInnen von den Erfahrungen eines KZ- Häftlings

„Haben Sie einmal an Selbstmord gedacht?“ Diese Schülerin war die einzige, die fragte. Sonst hatten sie zugehört, zwei Klassen des 10. Jahrgangs der GSO in der Walliser Straße, durch Gongs und Pausen hindurch und obwohl sie manchmal nicht mehr ruhig sitzen konnten. Aber Fragen stellten sie Lehrerin: „Ihr müßt euch doch erinnern, wir haben doch Fragen vorbereitet,“ - keine.Der Mann antwortet mit einfachen Sätzen und Worten, die um schwere „g„s klingen. Hundert seien in den elektrischen Draht gegangen, weil sie es nicht mehr ausgehalten hätten. Er selber habe, seit seine 21jährige Frau auf der Rampe von Auschwitz von ihm getrennt und ins Gas geschickt worden war, nur noch einen Gedanken gehabt: Überleben, um zu warnen. „Wenn man einen starken Willen hat, dann geling es auch oft, das zu realisieren.“

Um zu warnen, reist der 74-Jährige, dessen dunkles Haar

gerade grau zu werden beginnt, wieder herum und hält Vorträge vor jungen Leuten. Diesen hier in der GSO hat der Bremer Verleger Helmut Donat organisiert, der Adolf Burger über dessen - vergriffenes - Buch „Des Teufels Werkstatt“ kennt. Adolf Burger, der kommunistische Drucker aus der Slowakei, hatte die KZs Auschwitz-Birkenau und Sachsenhausen auf unwahrscheinliche Weise überlebt, hatte hinterher zwei Jahre darüber geredet und geschrieben. Dann hat er dreißig Jahre lang nicht mehr darüber reden wollen. Bis ihn vor sechs Jahren ein Flugblatt der Neonazis wieder auf die Beine gebracht hat, Zeugnis abzulegen. 10.000 Mark Belohnung wurden da demjenigen geboten, der beweisen könne, daß nur ein einziger Jude vergast worden sei. Seit dieser Zeit berichtet Adolf Burger wieder, mit den gleichen schlichten, anschaulichen Sätzen, die ihm dabei schon öfter dienlich waren.

Halinka-Gardisten, die „slowakische SS“, hatten 1942 Burger, damals frisch ausgelernter Buchdrucker in einer illegalen KP-Druckerei, und seine Frau verhaftet. Aus einem slowakischen KZ waren sie nach Auschwitz transportiert worden. Dort auf der Rampe, angetreten in Fünferreihen, wo die Sechshundert, die nach links raustreten mußten, ins Gas kamen, ehe sie wußten, wo sie waren, hat Burger seine Frau das letzte Mal gesehen. „Wir“, die Achthundert, die ankamen und dachten, sie kämen in ein Arbeitslager, „wurden dort zerteilt, das war einer der schrecklichsten Momente.“ Diesen Moment erwähnt er in jedem Bericht.

„Haltet Euch rein„ und „Zum Baderaum„ vor den Vergasungskabinen, Worte, die einer das Deutsche vergällen, die man aber in dieser Bedeutung kennt. „Laufschritt!“ schrien auch diejenigen unter den Häftlingen, die als Kapos das Recht hatten, Mit

häftlinge umzubringen. „Das waren die Grünen“ sagt Burger öfter von den Kriminellen, die diese Dienste oft machten. Die Grünen. Man kann sie nicht alle vermeiden, diese Worte. Nur kennen.

Burger berichtet von seiner Arbeit in der großen Fälscherwerkstatt im KZ Dachau, dem „Unternehmen Bernhard“, in dem u.a. englische Pfundnoten gefälscht wurden. Die Häftlinge versuchten, sie unbrauchbar zu machen mit Sicherheitsnadeleinstichen dort, wo die Engländer, die die Noten damit zusammenzuhalten gewöhnt sind, sie nie machen. Geholfen hat das nicht.

Burger hat genau hingesehen. Bei der SS gab es körperliche Sadisten; es gab Schreier, die sich durch Brüllen stark machten; und es gab Leute, die wegsahen, wenn Häftlinge taten, was sie nicht sollten. Burger hat nichts gegen die Deutschen. Viele waren mit ihm inhaftiert.

Uta Stolle