Der Senat will nun Kinder ausweisen

■ Ausländerbehörde will nun türkische Kinder, die in West-Berlin von Vormündern betreut werden, abschieben - obwohl ein Parlamentsbeschluß dies ausdrücklich verbietet / Sogar Zwangsabschiebung der Minderjährigen ist zu befürchten / Die Anwälte der Betroffenen laufen Sturm

Ihr Geburtstag im Januar war für Serpil Aslan kein Grund zum feiern. Denn seitdem ist ihr die Ausländerbehörde auf den Fersen. Weil sie, wie auch zwei andere türkische Jugendliche in West-Berlin, nicht bei ihren Eltern, sondern „nur“ unter Vormundschaft ihres Onkels lebt, soll sie nun nach Vollendung des sechzehnten Lebensjahres in die Türkei zurück. In allen drei Fällen haben Verwandte in Berlin die Vormundschaft über die Kinder übernommen, nachdem in zwei Fällen der alleinerziehende Vater in der Türkei verstorben war, in einem dritten Fall der Vater schwer erkrankt, der Aufenthaltsort der Mutter aber unbekannt ist.

Die 17jährige Nurhayat wurde nach Angaben ihres Rechtsanwalts, Peter Meyer, von der Ausländerbehörde bereits aufgefordert, ein Flugticket vorzulegen, andernfalls müsse sie mit ihrer zwangsweisen Abschiebung rechnen. Nach Angaben des Anwalts hat inzwischen das Oberverwaltungsgericht (OVG) die Entscheidung der Ausländerbehörde ebenso bestätigt wie im Fall von Serpil Aslan. Nur bei dem 15jährigen Baris Uzun sei eine Beschwerde vor dem OVG noch möglich.

Serpil Aslan lebt seit Sommer 1988 in West-Berlin, ihr Onkel hat für sie die Vormundschaft übernommen. In der Türkei konnte Serpil, damals 14 Jahre alt, nicht mehr bleiben: die Eltern sind geschieden, der Aufenthaltsort der Mutter unbekannt, der Vater, bei dem das Mädchen lebte, ist psychisch und physisch schwer krank und pflegebedürftig.

Diese Notlage schien auch dem Westberliner Familiengericht einsichtig, das Serpils Onkel die Vormundschaft für seine Nichte übertrug. Ausdrücklich habe das Gericht - so der Anwalt des Mädchens - darauf verwiesen, daß der Vater aus gesundheitlichen Gründen gehindert ist, die elterliche Sorge auszuüben. Zu einer, wie so häufig, eigenwilligen Interpretation kamen die zuständigen SachbearbeiterInnen der Ausländerbehörde, als sie dem Mädchen vor einigen Wochen einen Bescheid über die Beendigung ihres Aufenthalts ins Haus schickten. „Anstatt ihren hilflosen Vater in der Türkei allein zu lassen, sollte erwartet werden, daß sie mit 16 Jahren dorthin zurückkehrt, um ihn zu pflegen, wie es normalerweise in einer Familie üblich ist.“

Dies widerspricht nach Auffassung des Anwalts eindeutig einem Beschluß des parlamentarischen Innenausschusses vom 15. Oktober 1984, wonach ausländische Vormundschaftskinder hier bleiben dürfen, wenn sie in ihrem Heimatland nicht versorgt werden können. „Ob diese Versorgung gewährleistet ist, wird in der Ausländerbehörde überhaupt nicht geprüft“, kritisierte Meyer. Während der christdemokratische Innensenator Kewenig sich an den Parlamentsbeschluß immer gehalten habe, setze sich der Sozialdemokrat Pätzold und seine Verwaltung einfach darüber hinweg. Zu einer Stellungnahme sah sich die Innenverwaltung gestern nicht in der Lage.

anb