DM - die zarteste Versuchung...

■ Die Barockstadt Potsdam gibt sich als attraktiver Werbeträger: Der Rat der Stadt beschloß voreilig einen Vertrag mit einer großen Kölner Werbefirma für 199 Standorte / Eine Bürgerinitiative, Architekten und die Denkmalpfleger vereitelten nun das PR-Projekt

Gleich hinter der Glienicker Brücke empfängt Manfred Krug den Potsdam-Besucher mit Schaum von Schultheiss zum Lokaltermin. Das Plakat für „Soviet. Die Arbeitshose.“ verführt die Rekruten vor der russischen Garnison. Im bröckelnden Holländerviertel lockt Frau Antje mit saftigem Gemüse, und im Schloßpark von Sanssouci erschreckt „Die Freundin“ arglose Spaziergängerinnen mit Anweisungen an die „Frauen von heute“.

Diese Vision von Potsdam, fürchtet die Potsdamer Bürgerinitiative „Argus“, könnte bald Wirklichkeit werden. Die Initiative schlug gestern Alarm und machte einen Vertrag publik, den der Rat der Stadt schon am 2. März mit der Kölner Firma „Ströer City Marketing“ geschlossen hatte ohne den Runden Tisch zu fragen und ohne selbst die Stadtverordnetenversammlung zu informieren. Der Firma wird darin 15 Jahre lang das exklusive Recht eingeräumt, Plakattafeln, Werbesäulen und beleuchtete Vitrinen auf städtischem Gelände und an stadteigenen Bauten anzubringen.

Einen Katalog mit 199 potentiellen Standorten in der Barockstadt hatte Ströer - nach eigenen Angaben die zweitgrößte „Außenwerbefirma“ der Bundesrepublik - letzte Woche schon fix und fertig zusammengestellt. Ohne viel Federlesens und Vorwarnung wurden die Lagepläne am vergangenen Freitag dann Mitarbeitern des Stadtarchitekten, den Potsdamer Denkmalpflegern und der Gartenbaudirektion vorgelegt. Ratsbehörden und Ströer drängten auf rasche Zustimmung. Der vereinbarte Stichtag war der 1.Juni.

Gerade noch rechtzeitig stellten sich Stadtarchitekt und Denkmalpfleger quer - und informierten „Argus“. Ohne die Kommunalwahlen am 6. Mai abzuwarten, hätten die alten SED -Ratsherren Entscheidungen getroffen, die die einheimische Werbewirtschaft „rausdrücken“ und „das Gesicht der Stadt entscheidend“ verändern würden, klagte Argus-Streiterin Saskia Hüneke - und war mit diesem Protest gestern erst mal erfolgreich. Die Potsdamer Ratsherren vereinbarten noch gestern früh mit Stöers‘ DDR-Beauftragtem Udo Müller den Rückzug. Die Kölner Firma suche den „Konsens“ mit allen kommunalen Kräften und sei vom dem Vertrag deshalb vorerst „zurückgetreten“, versicherte Müller gestern den Bürgern.

Erst wenn mit dem Runden Tisch gesprochen wurde und auch der Oberbürgermeister seine Unterschrift unter den fünfseitigen Werbenutzungsvertrag gesetzt hat, soll die Vereinbarung nun in Kraft treten, sicherten Stadtbaudirektor Eichler und Verkehrsstadtrat Schütze gestern der taz gegenüber zu. Der Protest sei für ihn „sehr überraschend“ gekommen, bekannte Müller. Mit Halle, Erfurt, Frankfurt an der Oder, Dresden und Leipzig sei man schon handelseinig geworden, auch mit den dortigen Bürgervertretungen. Daß es auch in Potsdam einen Runden Tisch gebe, der gefragt werden müsse - das hätten ihm seine Gesprächspartner im Rathaus nicht gesagt.

Stadtrat Peter Schütze, ehemals SED und heute parteilos, streute Asche auf sein Haupt. „Sicherlich ein Formfehler“ sei es gewesen, die Bürgergruppen nicht zu fragen. Aber ohne Werbetafeln könne auch Potsdam in der Zukunft nicht auskommen, und es gelte, auch „kommerziell was rauszuholen“.

Allzu üppig werden die Einnahmen für die Stadt vorerst allerdings nicht sein; das räumte gestern sogar Müller ein. 32 Prozent der Einnahmen stehen der Stadt laut Vertrag zu. Selbst wenn die Plakattafeln ebenso gut ausgelastet wären wie in der Bundesrepublik üblich, wären das schlappe 650 Mark pro Tafel für die Stadt - bei 150 Flächen summa summarum ganze 100.000 Mark.

Gegen Schütze, Eichler und eine Vertreterin der Wirtschaftskommission, die den Vertrag ebenfalls unterzeichnet hatte, verabschiedete der Runde Tisch der Stadt am Mittwoch abend einen Mißtrauensantrag. Bis zum 6. Mai soll die Wirtschaftskommission, die die Offerten westlicher Firmen sammelt, keine Verträge mehr abschließen dürfen.

Denn schon droht laut Hüneke eine „neue Verhöhnung unseres Kulturerbes“: Die französische Kosmetikfirma L'Oreal will das Schloß Sanssouci mieten, um in den noblen Hallen den Geburtstag ihres Direktors zu feiern. Ganze 50.000 Franc Miete will sie zahlen, verspricht aber kurzen Glanz für die ergraute Stadt: „L'Oreal“ als Leuchtschrift auf dem Neuen Palais.

hmt