Desktop Siegfried

■ Jörg Schröder erzählt wieder

Schröder! O Gott, o Gott, wollen wir uns auf diese Ebene der Literatur begeben“, erwiderte Marcel Reich-Ranicki neulich im „Literarischen Quartett“, als Jürgen Busche angemerkt hatte, es gebe sehr wohl noch lesenswerte Literatur, zum Beispiel Jörg Schröders Siegfried. Mit diesem Buch, 1972 erstmals und seitdem in über 20 Auflagen erschienen, hatte der MÄRZ-Verleger Schröder quasi das Genre gewechselt: Statt weiter Bücher und mit dem undogmatisch-avantgardistischen MÄRZ-Verlag Verlagsgeschichte zu machen, erzählte er nun selber Geschichten: über das Büchermachen, die Verlagsbranche, Kultur und Kulturpolitik und all „den Scheiß, der in den Feuilletons Kultur genannt wird“.

Das Besondere an diesen Geschichten war, daß sie nicht im Wahren/Guten/Schönen herumstocherten, sondern die das kulturelle, literarische Leben schonungslos bloßstellten: die Tricks der Kulturbranche und die Gaunereien des Buchgewerbes, korrupte Redakteure und ignorante Kritiker, dämliche Kulturpolitiker und dummdreiste Salonlinke, mimosenhafte Autorenmachos und maulfertige Opportunisten.

Schröder nannte nicht nur die Dinge, sondern auch die Menschen beim Namen, keine pseudonymen Pappnasen saßen an Schreibtischen, Buffets und Bordellbars herum, sondern das leibhaftige Personal des bundesdeutschen Feuilletonbetriebs.

Die Regel „Das Volk liebt den Verrat, aber es haßt den Verräter“ bekam Schröder mit großem Verkaufserfolg und dann mit allen Finessen der juristischen Kunst zu spüren: Was Ehrabschneidung, üble Nachrede und Beleidigung angeht, dürfte „Siegfried“ einen einsamen Rekord in der Verlagsgeschichte errungen haben.

So begeistert die 'Frankfurter Rundschau‘ seinerzeit war „ein so ätzendes, vor Haß und Bosheit schon wieder leuchtendes Buch wurde hierzulande noch nie geschrieben“ -, so schwer hatte Jörg Schröder an den Folgen zu tragen: Über Jahre hatte er weniger mit Literatur zu tun als mit der Prosa von Gerichtsschriftsätzen („(...) schließlich kann der Kläger auch Unterlassung der Bezeichnung 'Vielfraß‘ in Verbindung mit dem hier genannten Wortbestandteil ,-arsch‘ verlangen“).

Auch einem zweiten Buch, in dem Schröder nach dem Motto „Das darf man eigentlich gar nicht erzählen, und gerade deswegen muß man es erzählen“ unter anderem Nato -Geheimnisse, Enthüllungsjournalisten und die linksalternative Szene in der Provinz aufs Korn nimmt, ging es nicht viel besser. Doch jetzt soll alles anders werden: Nachdem der dritte Frühling des MÄRZ-Verlags Mitte der 80er Jahre durch zwei kleinere Herzinfarkte Schröders gestoppt wurde, besinnt sich der Verleger jetzt wieder auf seine Erzählerqualitäten - ab Mai soll alle drei Monate eine Folge von Schröder erzählt erscheinen.

Nicht fiktionalisiert und anonym, sondern im bewährten O -Ton, und nicht als Buch, das nach der ersten einstweiligen Verfügung auf Halde liegt, sondern als periodische „Samisdat„-Produktion im Desktop-Publishing-Verfahren. Dazu hat er den „MÄRZ Desktop VERLAG“ gegründet, der die Erzählungen, jede etwa 40 Seiten lang, solange verkauft, bis ein gerichtliches Unterlassungsbegehren vorliegt, dann wird die Produktion sofort eingestellt.

Mit juristischen Händeln, schreibt Schröder in der Ankündigung der ersten Folge (Glückspilze), „habe ich mehr Zeit verplempert als das Erzählen und Redigieren meiner Geschichten gekostet hat. Daß ich in den gerichtlichen Händeln bisher immer obsiegte, bis auf einen Fall, bei dem ich nach fünfjähriger Auseinandersetzung kurz vor den Schranken des BGH angeödet das Handtuch geworfen habe, mag gut für die Wahrheit und schön für meine Anwälte sein, ist aber fürchterlich demotivierend für einen Autor.“ Deshalb will er sich künftig - die neue Technik macht's kostengünstig möglich - jedem Unterlassungsbegehren sofort beugen.

Um dabeizusein, bleibt allen Siegfried-Fans und TheoretikerInnen des „Klatschs als letzte materialistische Waffe gegen die Meinung“ (D. Diedrichsen) sowie für die Quälgeister der Kulturbranche nur die Möglichkeit der Subskription.

Mathias Bröckers

Jörg Schröder: Schröder erzählt. 50 DM pro Folge. Presseexemplare werden, logischerweise, nicht versandt. MÄRZ Desktop VERLAG, Hauptstraße 29, D-8915 Fuchstal-Leeder.