US-Aids-Forscher Gallo nur ein Fälscher?

■ Neue Enthüllungen der 'Chicago Tribune‘ stellen den amerikanischen Forscher erneut als Mitentdecker des HIV in Frage Hat die US-Gesundheitsbehörde Gallos Spiel gedeckt? / Es geht um die Ehre - und um Millionenbeträge aus den Patenten

Berlin/Paris (taz/afp) - Der vermeintliche Mitentdecker des Aids-Virus, der Amerikaner Robert Gallo, wird durch neue Enthüllungen als plumper Fälscher belastet. John Crewdson von der US-Zeitung 'Chicago Tribune‘ hat jetzt nach zweijährigen Recherchen den Starforscher erneut beschuldigt, sein Aids-Virus vom französischen Virologen Luc Montagnier abgekupfert zu haben. Zugleich wirft er der US -Gesundheitsbehörde NIH vor, die Wahrheit über die Entdeckung des Aids-Virus verschleiert und Gallo gedeckt zu haben.

Gallo ist schon seit längerem umstritten. Als eigentlicher und einziger Entdecker des Aids-Virus gilt Insidern längst der Franzose Luc Montagnier vom Pariser Pasteur-Institut, der den Erreger im Jahr 1983 isolieren konnte. Im Juli und September 1983 - noch vor der Patentierung - schickte Montagnier seinem US-Kollegen Virusproben zur Ansicht. Wenig später hatte plötzlich auch Gallo das Virus „entdeckt“. Nur: Nachträgliche Untersuchungen, dies unterstreicht jetzt auch der Bericht der 'Chicago Tribune‘, zeigen eindeutig, daß die beiden Viren auch in ihrer genetischen Substanz völlig identisch sind. „Es ist schwierig sich vorzustellen, daß zwei Viren, die in zwei Patienten aus Tausenden und Abertausenden von Viren isoliert wurden, exakt dieselbe genetische Struktur besitzen.“ Diesen Satz schrieb der Virologe Malcom Martin von der US-Gesundheitsbehörde NIH, der mit der Untersuchung des Falles befaßt war. Doch im offiziellen Untersuchungsbericht fehlt diese Aussage. Crewdson, der bei seinen Nachforschungen zahlreiche vertrauliche Dokumente sichten konnte, schreibt dazu: „Das, was in Gallos Labor tatsächlich passiert ist, wurde nachträglich verfälscht oder unterschlagen. Zugleich fand die Wahrheit aber ihren Weg bis hoch zum Justizministerium.“

Das Pasteur-Institut hat jetzt angekündigt, daß es den vor drei Jahren nach einem Prozeß getroffenen Kompromiß über die Urheberrechte an der Forschertat in Frage stellen wird, wenn sich die Enthüllungen der 'Chicago Tribune‘ bewahrheiten. Bei dem Streit geht es nämlich nicht nur um die wissenschaftliche Ehre, sondern um Millionenbeträge aus den Lizenzeinnahmen für Aids-Tests, die erst durch die Entdeckung des Virus möglich wurden.

Gallo hatte für sein Verfahren im August 1984 das Patent in den USA angemeldet. Es wurde innerhalb kurzer Zeit genehmigt, während eine französische Testmethode schon seit Monaten beim US-Patentamt auf Begutachtung wartete und später nicht zugelassen wurde. Die amerikanischen Patentinhaber erhalten dafür jährlich 100.000 Dollar zusätzlich zu den Lizenzen für die Entdeckung des Virus, während die Franzosen leer ausgingen.

In einem Interview bezeichnete Montagnier dies gestern als „unmoralisch“. Er lehnt es dennoch ab, von Betrug zu sprechen. Mit diplomatischem Geschick legt er statt dessen Gallo nahe, zuzugeben, daß sich das angeblich von ihm entdeckte Virus in Wirklichkeit durch einen „falschen Handgriff“ aus der Pariser Virusprobe in seinem Labor selbständig gemacht haben könnte. „Sagen wir einfach, daß unser Virus, das sich in einem Gläschen befand, andere Kulturen (im Labor von Gallo) verunreinigen konnte und dann als neues Virus identifiziert wurde“, so Montagnier. Dann wäre Gallos Aids-Virus - bei viel gutem Willen - eine Laborkontamination.

-man