Hohe Haftstrafen im Startbahn-Prozeß

■ Aber Schlappe für die BAW: 129a-Anklage zusammengebrochen

Frankfurt (taz) - Im abgetrennten Startbahn-Verfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt hat der Staatsschutzsenat nach über einjähriger Prozeßdauer und 74 Verhandlungstagen gestern hohe Haftstrafen verhängt. Am härtesten traf es Reiner H.: Der 5.Strafsenat sah es als erwiesen an, daß er sich 1986 an zwei Anschlägen auf Strommasten beteiligt habe. Er soll zudem die Anleitung zum Abbau von Strommasten der Atommafia mitverfaßt haben. Wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ (§129 StGB) in „Tateinheit mit der Störung öffentlicher Betriebe“ verurteilten ihn die Richter zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten.

In der Begründung wies der Senatsvorsitzende Schieferstein auf die „fehlende Reue“ des Startbahngegners hin. Für H.s Anwältin Ursula Seifert ist das Strafmaß der Beweis, daß mit dem Richterspruch auch die Gesinnung verurteilt wurde. Die Verteidigung hatte für H. Freispruch und Haftentschädigung für die 18monatige U-Haft gefordert. Die Bundesanwaltschaft (BAW) wollte wegen drei Mastanschlägen eine Verurteilung nach §129 mit dreieinhalbjähriger Haftstrafe.

Unter dem beantragten Strafmaß blieb der Senat auch beim Urteil gegen Ina T. Ebenfalls wegen „Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung“ in Tateinheit „mit der Störung öffentlicher Betriebe“ wurde sie mit Rücksicht auf ihre privaten Verhältnisse wegen zweier eingestandener Mastanschläge zu einer zweijährigen Haftstrafe auf vier Jahre Bewährung und einer Geldstrafe von 5.000 West-Mark verurteilt. Die BAW hatte für Ina T. eine Verurteilung wegen „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ (129a StGB) zu dreieinhalb Jahren Haft gefordert.

Die 129a-Anklage brach auch bei Andreas Semisch zusammen. Wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz und wegen Hehlerei soll er eine zweijährige Gefängnisstrafe verbüßen. Die Ankläger hatten eine Verurteilung wegen „Mitgliedschaft und Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung“ zu sieben Jahren und sechs Monaten gefordert. Ein Gutachten des BKA-Oberrats Perret, das Semisch als Autor von Bekennerschreiben der „Revolutionären Zellen“ ausweisen sollte und auf das sich die Anklage stützte, war im Prozeß demontiert worden. Perret mußte seine Expertise relativieren und zurücknehmen.

„Die Verurteilung wegen angeblichen Waffenbesitzes ist nichts anderes als der Versuch, die Anklage gegen Semisch zu rechtfertigen“, erklärte Rechtsanwalt Wolfgang Kronauer gegenüber der taz. Er kündigte an, in Revision zu gehen. Der im Mordverfahren Angeklagte Andreas Eichler hatte in einer Prozeßerklärung bestritten, daß Semisch die im November 1986 geklaute Polizeipistole, mit der am 2.11.87 zwei Polizeibeamte an der Startbahn-West erschossen worden sein sollen, in Verwahrung hatte.

Wie bei Reiner H. bemängelten die Staatsschutzrichter auch bei Semisch „fehlende Reue, die keine guten Zukunftsprognosen“ verspreche. Die Rechtsanwälte wollen die U-Haft auf den Schuldspruch angerechnet wissen: Sie sei fast so lang wie das Urteil.

M.B.