DIE KNOCHEN SIND DEIN!

■ Das Bild fremder Kulturen im Film anläßlich einer Reihe im Haus der Kulturen der Welt

Neger kommt ins Bild und setzt sich in dessen Mitte. Er ordnet das mitgebrachte Peddigrohr auf einen Baumstumpf und beginnt ein Körbchen zu flechten. Nahaufnahme auf seine geschickten, flinken Hände. Verzierung dran, fertig! Dann steht der Neger auf und geht rechts aus dem Bild.

Nach vergleichbarem Strickmuster ist die Masse der deutschen Filme entstanden, die dem Ethnographischen zuzuordnen sind. Sie liegen im Archiv des Göttinger „Instituts für den wissenschaftlichen Film“ (IWF) und kaum jemand rührt sie an, diese aus der Staatskasse finanzierten Produktionen. Nur Erdkundelehrer leihen sie hin und wieder aus und fragen ihre Schüler dann nach Sachen, über die sie selbst etwas im Begleitheftchen gelesen haben. Möglicherweise erklärt die Erinnerung an solche Schulstundenfilmvorführungen, in denen die Welt als eine einzige, riesige Volkshochschule dargestellt wird, das jahrzehntelange Desinteresse der br-deutschen Filmszene an diesem Genre.

Das Göttinger Institut gibt seinen filmenden Wissenschaftlern außer der Kamera immer noch die „Leitsätze zur völkerkundlichen und volkskundlichen Filmdokumentation“ von 1959 mit auf den Weg, wenn sie neue Beiträge für die Encyclopädia Cinematographica anfertigen sollen. Diese Sammlung, in ihrer Ordnung den beliebten Kuriosenkabinetten des 18. Jarhunderts nicht unähnlich, hat sich zum Ziel gesetzt die „Erfassung und Fixierung der wissenschaftlich bedeutungsvollen Bewegungsvorgänge und Verhaltensweisen bei Tieren, Pflanzen, Stoffen und schließlich auch beim Menschen“. Kleine, einsortier- und analysierbare Begebenheiten. Priorität hat alles, was vom Aussterben bedroht ist: Maltechniken, Erdmännchen usw.

Auch wenn das IWF, wie gemunkelt wird, lange nicht mehr so streng wie früher auf die Einhaltung seiner hausinternen Richtlinien achtet, so repräsentiert es nach wie vor eine bestimmte Art des (deutschen) ethnographischen Films, der sich dagegen sträubt, über das, was er tut, genauer nachzudenken. Immer noch gibt es draußen im Feld Forscher, die die Kamera wie eine Tarnkappe benutzen, nach dem Motto: objektiv durchs Objektiv. Die Filmaufzeichnungen sollen lediglich als Beweismittel einer mit Hilfe des wissenschaftlichen Textes konstruierten Realität dienen. Und am Horizont wird die aggressive Naivität dieser Filme sichtbar, sie erscheint grenzenlos.

Formal-theoretisch betrachtet gibt es zwischen einem Hollywood-Spielfilm und dem IWF-Peddigrohrfilm kaum Unterschiede. Auch in letzterem wird in Filmzeit eine kleine Geschichte mit Anfang und Ende montiert, die Kulisse vor Drehbeginn eingerichtet und der eingeborene Schauspieler muß so tun, als seien die Kamera und der Filmemacher nicht da. In einer klugen Analyse dieser Konstellationen kommt die Fimtheoretikerin Eva Hohenberger zu dem Schluß, daß sich „non-fiction“ und „feature“ nur in der Rezeption unterscheidet. Sprich: durch die anders konditionierte Wahrnehmung, je nachdem ob man vom weichen Kinosessel aus den MGM-Löwen auf der Leinwand oder im abgedunkelten Klassenzimer das IWF-Emblem erblickt.

Daß man diese künstlich-absurde Grenze zwischen den Genres in der hiesigen Kinolandschaft nicht so einfach überspringen kann, diese Erfahrung mußten jetzt die Veranstalter vom Haus der Kulturen der Welt machen. Vergangene Woche hat dort ein 60 Titel umfassendes Programm begonnen: Das Bild fremder Kulturen im Film. Der Veranstaltungskalender im Rittersport-Format erläutert, daß diese Filmreihe zum Rahmenprogramm der Fotoausstellung Der geraubte Schatten gehört. Doch mit dieser Behauptung wird das Ausstellungskonzept der merkwürdig vollgepropften Kongreßhalle bis zur Unsichtbarkeit ausgedehnt. Und deswegen verwundert es kaum, daß im riesigen Kinosaal bislang nur winzige Ansammlungen von Besuchern zu finden waren. Die nachhaltig negative Wirkung des IWF darf bei der Präsentation ethnographischer Filme offensichtlich nicht unterschätzt werden.

Jutta Philipps-Krug, verantwortlich für die Filmreihe, hat sich die Sache auch ganz anders vorgestellt. Ein Forum schwebte ihr vor, auf dem die Konturen der zukünftigen Filmarbeit im Haus der Kulturen vorgestellt werden sollten. In den Programmblöcken würde sich das ganze Panorama der spannenden, wichtigen Themen des ethnographischen Films entfalten: die heiklen, kolonisatorischen Traditionen, die Präsens des Filmemachers im Film, der mögliche Rollentausch, das Ethnographische als Kulisse im Spielfilm, die Resultate einer nicht privilegierten Kameraführung usw.

Mit einem enormen Kosten- und Organisationsaufwand wurden aus aller Welt seltene, noch nie gezeigte, teure, antike, ganz neue-vor-Kinostart-Kopien zusammengesucht und Vorschläge für Diskussionsveranstaltungen mit Filmemachern und Ethnologen ausgearbeitet. Dabei herausgekommen ist ein thematisch strukturiertes Filmprogramm, das kenntnisreich aus ganz unterschiedlichen Perspektiven die eigentlichen Frage - die nach dem Wesen des Blicks auf die Fremde aufwirft. Die veraltete Trennung wird durch das Nebeneinander von Spiel- und Dokumentarfilmen mit gleicher Thematik, zum Beispiel Krankenschwester und Ärzte im Busch, in ihrer Willkürlichkeit sichtbar und damit aufgelöst. Also eine Filmreihe zu einem Symposion ohne Symposion. Die Gespräche, die Diskussionen und Referate finden nicht statt. Nur dem Dauergast erschließt sich die Idee der Programmierung.

Im Vorfeld der Fotoausstellung war es nämlich zu einigem organisatotrischen Tumult zwischen den verschiedenen Soli -Pressure-groups auch im Haus selbst gekommen und deswegen reichte am Ende weder das Geld noch die Zeit, um für das „Rahmenprogramm zur Fotoausstellung“ Regisseure bzw. Referenten einzuladen. So bleibt es letztendlich dem Zufall überlassen, ob mit diesem teuren, ambitionierten Projekt in Berlin eine neue Ära ethnographischer Filmkultur eingeläutet wird. In Anbetracht der spezifischen Rezeptionsgeschichte des ethnographischen Films in der Bundesrepublik hätte die Direktion des Hauses dieser Filmreihe mehr Sorgfalt bei der Präsentation schenken müssen. Mit einer klappbaren Programmübersicht ist es sicher nicht getan!

An diesem Wochenende wird die Reihe mit der „Geschichte von Ritualen“ und der Idee vom „Austausch“ fortgesetzt. Beim letztgenannten geht es um Tanz, Performance und Musik. Die darstellenden Künste entziehen sich dem wissenschaftlichen Diskurs und in dieser Nicht-Faßbarkeit wird das Potential des ehtnographischen Films deutlich. Gregory Bateson zum Beispiel versuchte, die künstlerischen Ausdrucksformen fremder Kulturen als „Übung, über die Arten des Unbewußten zu kommunizieren“ zu verstehen und - in Filmform - zur Grundlage seiner Theorie zu machen. Mit Margret Mead zusammen drehte er Ende der 30er Jahre Learning to dance in Bali. Unter dem Motto „Geschichte von Ritualen“ gibt es unter anderem Waiting for Harry von Kim McKenzie zu sehen. Darin geht es um die Beerdigungszeremonie in einem australischen Dorf, bei der der Anthropologe Les Hiatt gerne mit seiner Kamera dabeisein möchte. Die körperbemalten Aboriginals vollführen am Ende des Films zwar ein paar rituelle Tänze, aber für alle Nicht-Ethnologen dürfte die von Pannen geprägte Vorbereitung der Zeremonie viel interessanter sein. Zum Beispiel, wie die trägen Trauergäste aus der Nachbarschaft von Frank (trägt seine Marlboros im Lendenschurz und ist der Bruder des Verstorbenen) per Funkgerät um etwas Beeilung gebeten werden. Als die Gäste dann endlich ankommen, fehlt aber Harry und ohne Harry kann's erst recht nicht losgehen. Frank fordert den Wissenschaftler deswegen auf, mit seinem Wagen in die Stadt zu fahren, um Harry zu holen. Les Hiatt will einerseits tun wie ihm befohlen, hat aber große Angst, das Eigentliche dann zu verpassen. Mit qualvoll verzerrtem Gesicht versucht er seinen Freunden die Schwierigkeit seiner Situation zu erklären. Und dann kommt eine wunderbare Antwort von Frank, aus der ein tiefes Verständnis für die Probleme des ethnographischen Filmschaffens spricht: „Calm down, Les! These bones are yours, the bones of your brother!“

Dorothee Wenner

Heute, 19.30 Uhr: Shark Callers of Kantu (OmU) von Dennis O'Rourke (1982) - The Kawelka-Ongka's Big Moka (OF) von Charlie Nairu (1974) - Waiting for Harry (OF) von Kim McKenzie.

Morgen, 11.00 Uhr: Learning to dance in Bali (OF) von Gregory Bateson und Margret Mead (1936-38/ 1951) - Dances in the Sand . A Meeting between Europe und Africa (afrikanische Sprachen, englischer Kommentar) von Mette Bovin (1984).

Ansonsten läuft die Reihe noch bis zum 15. April, u.a. mit Filmen von Judith und David MacDougall und Bob Connolly. Nähere Angaben: siehe Programmteil.