Streik vorbei - ErzieherInnen empört

■ Tarifkommission beschließt Aussetzung des Kita-Streiks ab kommenden Mittwoch / Konflikt zwischen GEW und ÖTV um das weitere Vorgehen / ÖTV-Chef Lange wurde bei Streik-Vollversammlung gestern ausgepfiffen / Senat bedankt sich bei Gewerkschaften

Der längste Streik in der Berliner Nachkriegsgeschichte ist auf unbefristete Zeit ausgesetzt worden: Ab kommenden Mittwoch sind die Kindertagesstätten in Berlin wieder geöffnet. Diesen Beschluß fällte die gemeinsame Tarifkommission aus GEW und ÖTV jetzt mit einer knappen Mehrheit von zwölf zu neun Stimmen bei einer Enthaltung.

Nach Ansicht der Gewerkschaften sind die eigentlichen tarifpolitischen Ziele dieses Streiks - eine spürbare Verbesserung des Personalschlüssels und eine Reduzierung der Gruppengröße - zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht erreichbar. Eine Einschätzung, die bei der gestrigen Vollversammlung, an der rund 1.500 ErzieherInnen teilnahmen, auf heftigen Widerspruch stieß. Dort kam ÖTV-Chef Kurt Lange zunächst gar nicht zu Wort, so groß war das Getöse aus Pfiffen und Rufen wie „Aufhören!“ und „Abtreten!“ Langes Argumente: Eine Weiterführung des Arbeitskampfes wäre bei so geringen Aussichten über die Kräfte aller Beteiligten gegangen. Ein Aussetzen, anders als eine Urabstimmung, bedeute jedoch nicht Beendigung und ließe die Chance zu, bei passender Gelegenheit den Streik wiederaufzunehmen. Kurt Lange: „Wir verlassen unser Kampfziel nicht!“

Für seine „falsche Rhetorik“ wurde Lange nicht nur von den ErzieherInnen im Saale angefeindet. Auch GEW-Chef Erhard Laube kritisierte den Beschluß der Tarifkommission, um den es heftige Diskussionen innerhalb des Gremiums gegeben hatte. Es blieb nicht verborgen, wie weit der 10wöchige Streik einen Keil zwischen die beiden Gewerkschaften getrieben hat. Die GEW hätte die Urabstimmung vorgezogen. Der Streik habe mit einer solchen angefangen, jetzt müßten die KollegInnen auch selbst entscheiden, wie es weitergeht, sagte Laube. Das wäre der „demokratischere Weg“ gewesen. Mit dem jetzigen Schritt „lügen wir uns in die eigene Tasche“, und der Verlust der Glaubwürdigkeit der Gewerkschaften sei auch schlimm.

Der AL-Abgeordnete Bernd Köppl erklärte sich zwar „tödlich frustriert“ darüber, einem Senat anzugehören, der Streikbrechermaßnahmen unterstütze. Er lehnte es aber strikt ab, die rot-grüne Liaison deshalb zerbrechen zu lassen.

Viele TeilnehmerInnen der Streikversammlung fühlten sich hintergangen. Nicht nur vom Senat, sondern besonders von den Gewerkschaften und der Tarifkommission. Letzterer wurde mehrheitlich in einem Antrag das Mißtrauen ausgesprochen. Der Beschluß der Kommission vom 22.3. wurde zurückgenommen und eine Urabstimmung für den 26.3. angesetzt - alles Anträge, die zum Leidwesen der anwesenden ErzieherInnen nur symbolischen und keinen bindenden Charakter haben. Auf Flugblättern, die während der Versammlung im ICC verteilt wurden, machten sich die engagierten ErzieherInnen Luft: „Was sind die Bezirksvoten wert, wenn die Tarifkommission selbstherrlich entscheidet?“ hieß es da unter anderem.

Die SPD, die AL und Sozialsenatorin Stahmer haben das Aussetzen des Streiks gestern begrüßt. Die AL-Abgeordnete Künast hoffte, „nun doch noch zu einer Lösung des Konflikts zu kommen“. Vom Senat erwarte sie, daß er die Chance der Streikaussetzung nutze und „sich wieder an der Verhandlungstisch setzt“. Der jugend- und familienpolitische Sprecher der SPD, Klaus Löhe, erklärte, daß die Gewerkschaften nun den Weg freigemacht hätten, „ohne Vorbedingungen“ neu zu überlegen und konstruktive Gespräche aufzunehmen. „Die Erzieherinnen und Erzieher dürfen nicht umsonst gestreikt haben“, meinte Löhe. Sozialsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) begrüßte in einer Erklärung „den vernünftigen Beschluß“ der Gewerkschaften. Der Senat habe nicht auf die tariflichen Forderungen eingehen können. Sie betonte, daß der Senat die Schaffung von 248 zusätzlichen Personalstellen in den Kindertagesstätten beschlossen habe. Die CDU wollte den Beschluß der Tarifkommission „nur teilweise begrüßen“. Es wäre besser gewesen, so die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Fraktion, Gabriele Wiechatzek, den Streik nicht auszusetzen, sondern sofort zu beenden.

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