Leidenswege des jüdischen Volkes

■ Sechsteilige ZDF-Spielfilmreihe „Jüdische Wege“ startet am Sonntag um 22.25 Uhr mit „Der Magier“

Isaac Bashevis Singer, bislang einziger jiddisch schreibender Dichter, der mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet wurde, lieferte die Textvorlage für Menahem Golans israelisch-deutsch-kanadischen Spielfilm Der Magier, mit dem das ZDF seine Reihe „Jüdische Wege“ eröffnet. Anhand von sechs filmhistorisch und politisch bedeutsamen Beispielen werden Stationen auf dem Weg des jüdischen Volkes vom 19.Jahrhundert bis zur Gegenwart nachgezeichnet. Der Magier ist ein Rückblick auf die von materieller Armut und spirituellem Reichtum gezeichnete Kultur der Ostjuden im Polen des vergangenen Jahrhunderts.

Yasha Mazur (Alan Arkin) ist ein talentierter Magier, dessen großer Traum, einmal im Warschauer Alhambra-Theater aufzutreten, an seinem ausschweifigen Lebenswandel scheitert. Mit der strengen jüdischen Tradition, die die kulturelle Identität des heimatlosen Volks über Jahrhunderte der Verfolgung bewahrte, nimmt es der stets gutgelaunte Lebemann und Frauenheld nicht so genau, führt gar blasphemische Sprüche wider seinen Gott, den er für einen besonders ausgekochten Taschenspieler hält, weil er dessen „Trick“, die Bäume wachsen zu lassen, nicht durchschaut. Ein opulent ausgestattetes, zuschauerfreundliches Sittengemälde, das im thematischen Spektrum der übrigen, in deutscher Erstaufführung ausgestrahlten Filme eine Randposition einnimmt.

Einen Höhepunkt der Reihe markiert Alexander Granowskijs russischer Stummfilmklassiker Jüdisches Glück (Jidische Glikn) aus dem Jahr 1925, der zum traditionellen ZDF -Stummfilmtermin am Karfreitag, dem 13.April gesendet wird. Das vom ZDF restaurierte Werk wurde zu einer 99minütigen, integralen Fassung rekonstruiert, die der Wiesbadener Komponist Hans Jönsson musikalisch bearbeitete.

Der Film spielt im zaristischen Rußland und erzählt die Geschichte des Heiratsvermittlers Menachem Mendel, der immer wieder Heim und Familie verläßt, um irgendein vermeintlich lukratives Geschäft abzuschließen. Während einer seiner Reisen übermannt ihn in einem Zug die Müdigkeit, als er leider nur im Traum - einen weltweiten Ehevermittlungs-Trust zur Linderung des Frauenmangels in Amerika aufzieht: Nach hingebungsvoll-strenger „Qualitätskontrolle“ werden massenhaft Bräute in Container „verladen“ und eingeschifft, eine zwischen bizarrem Humor und augenzwinkernder Hommage an jüdischen Geschäftssinn ausbalancierte Szene.

Pogrome und Verfolgung hören unter dem zaristischen Regime nicht auf. Um die Jahrhundertwende emigrierten Millionen von Ostjuden in die USA, wo sie in New York in ärmlichen Verhältnissen leben und ihr Geld vornehmlich in Zuschneidereien, sogenannten „sweatshops“ verdienen. Einen solchen Laden besitzt der vor Jahren aus einem kleinen osteuropäischen Dorf eingewanderte Onkel Moses, ein mustergültiger Patriarch von leib-haftiger Präsenz, der über seine Angestellten ein rigide-joviales Regiment führt und eine pittoreske Mischung zwischen jüdischer Tradition und american way of life verkörpert. Aubrey Scotto und Sidney Goldins Filmdokument Onkel Moses aus dem Jahr 1932, das am 26.April in Originalfassung mit Untertiteln läuft, überzeugt durch realistische Zeichnung des Milieus sowie dessen durch Traditionen gefestigte Abhängigkeitsverhältnisse und nicht zuletzt durch die eindringliche Darstellung des Charakterschauspielers Maurice Schwarzt.

Befreit vom Joch der zaristischen Gesetze, träumten viele Juden nach der Oktoberrevolution von einer besseren, gerechteren Welt. Doch schon in den 30er Jahren fielen jüdische Funktionäre Stalins „Säuberungsaktionen“ zum Opfer. Während des deutsch-sowjetischen Krieges benutzte Stalin die Juden als Manövriermasse für seine innen- und außenpolitischen Ränkespiele. Nach Kriegsende setzte er seine „Säuberung“ gegen jüdische Intellektuelle fort, die als „wurzellose und heimatlose Kosmopoliten“ beschimpft wurden. Zu dieser Zeit spielt Frank Cassentis Das Testament eines ermordeten jüdischen Dichters (am 29.April), 1987 nach dem gleichnamigen Roman des Friedensnobelpreis-Trägers Elie Wiesel gedreht. Paltiel Kossover ist einer jener jüdischen Kulturträger, die bis 1953 dem Stalin-Terror erlagen. Während der Haft entwickelt sich zwischen ihm und dem nach „Beweisen“ fahndenden Untersuchungsrichter ein menschliches, allzu menschliches Verhältnis, in dem die für Außenstehende unverständliche, paradoxale jüdische Mentalität zum Ausdruck kommt. Zum „Geständnis“ gedrängt, wächst Paltiels in der Zelle verfaßte Vita zum kulturellen Vermächtnis an, das der Richter Tag für Tag ehrfurchtsvoll liest. Paltiel liefert dem Schergen damit quasi Gebrauchsanleitung und Legitimation für seinen Job: „Was den Henkern fehlt, das ist die Phantasie“, erklärt er leitmotivisch die Rolle der jüdischen Mentalität im Kräftespiel der internationalen historischen Entwicklung.

Mit einem makaberen historischen Detail der Judenverfolgung unter der französischen Nazi-Kollaborationsregierung befaßt sich Bernhard Cohns Spielfilmdebut Natalia (am 30.Mai) von 1988. Unter der Direktive des 1940 gegründeten Vichy -Regimes, politische Themen und Anspielungen auf die soziale Wirklichkeit zu unterlassen, entstanden während der Okkupation nicht weniger als 220 Spielfilme. Mit dem früheren Ufa-Manager Alfred Greven und dessen Nazi -Filmproduktion „Continental Films“, die „Filminteressen des Reichs“ wahren sollte, arrangierten sich bekannte Filmemachter wie Marcel Carne („Kinder des Olymp“, 1943-45) und Henry Georges Clouzot („Der Rabe“, 1945) - ein bislang filmisch nicht aufgearbeitetes Thema, das nicht nur in Frankreich lange Zeit Tabu war. Natalia erzählt die Geschichte einer mit falschem Paß arbeitenden jüdischen Filmschauspielerin, die in diesem Frankreich von 1940 denunziert und verhaftet wird.

Yossi Somer gehört zur Generation junger, unabhängiger israelischer Filmemacher, die (neben Schriftstellern und Journalisten) Stellung gegen die „Politik der Unnachgiebigkeit“ der erst kürzlich zurückgetrenen israelischen Regierung bezogen, wofür der israelische Filmkritiker Dan Fainaru den Begriff „Kino der Neinsager“ prägte. In Splitter der Erinnerung (im Juni) von 1988 erzählt Somer die Geschichte einer Gruppe traumatisierter Soldaten, die mit einer speziellen Therapie binnen kürzester Zeit wieder zum Töten „geheilt“ werden sollen, danach aber auch kein lebenswertes Leben mehr vorfinden. Die einzige Alternative zum durch das Holocaust-Trauma geprägte Opferdasein, so der Tenor des Films, ist nicht die Täterschaft.

Manfred Riepe