Computer total

■ Noch ist das eierlegende Wollmilchsau-Kompaktgerät ein Fantasieprodukt. Aber der Entwicklung zu immer perfekter und multifunktionaler arbeitenden Computern sind bislang noch keine Grenzen gesetzt.

Von

CLEMENS GRÜN

igentlich sind wir immer noch Affen - selbstsüchtig, revierverteidigend und unsagbar dumm. Aber mit einem High -Tech-Spielzeug wie dem Personal Computer können wir das ungemein gut verstecken. Da wird der Computer-User ein Über -Mensch: Überlegt, überlegen - und überheblich.

Eine rapide wachsende Industrie und ihre meist willfährige, weil anzeigenabhängige Fachpresse (bei gutsortierten Zeitschriftenhändfern nicht unter einem Meter zwanzig) beschreiben eine EDV-Wirklichkeit mit tragbaren Computern im Kleinstformat und Rechenmaschinen, die jedes jahr noch mal so schnell sind und viermal soviel können wie zwölf Monate zuvor. Und auf den Tischen vieler Schüler stehen heute graue Kästen, von denen jeder mehr kann als die Computeranlagen, auf denen Wirtschaftsmultis vor einem guten Jahrzehnt noch ihre Buchhaltungen fuhren. Rationalität (Anwender) und klare Strukturen (Programme) signalisieren eine neue Ordnung (Daten) in einer Welt von fleißigen Geschäftemachern und genialen Hinterzimmerfreaks, in der die neue Zähleinheit für Chip-Geschwindigkeiten zum Maß aller Dinge wird: Giga-Flops (aus der Abteilung „Wenn die Sprache zurückschlägt“!). Eine schöne, neue Computerwelt.

Aber nur in den Anzeigen von Software-Firmen und Computer -Distributoren. In der Praxis raufen sich auch heute, nach einem Jahrzehnt des Personal Computers (PC - die mutierte Schreibmaschine, mit der man plötzlich auch Jetpilot, Schachweltmeister oder Trickbildanimateur spielen kann), selbst Könner täglich die Haare - und Anfänger verbeugen sich nur solange ehrfuchtsvoll vor dem Gott des binären Zahlensystems, bis sie dessen allmächtige Fehlbarkeit kennengelernt haben. Genau bis zu diesem Tag der Erkenntnis denkt nämlich jeder, er selber sei einfach nur zu blöd, dieses Programm und jene Anwendung zu verstehen.

löd sind bis heute aber nur die Maschinen. Beispiele? Die meisten Flimmerbildschirme schaffen mit Niedrigauflösungen nur unscharfe Buchstaben und ruckelnde Bilder. Keines der verbreiteten Betriebssysteme erkennt Virenprogramme als ungebetene, manchmal sogar gefährliche Störenfriede. Die Computersysteme, die vorgeben, menschliche Logik nachzubilden, können sich nicht einmal selber installieren. Und von abstürzenden Programmen, zerschossenen Festplatten, verlorengegangenen Dateien (wenn die taz mit einer Leerseite erscheint!), überlaufenden Speichern und Druckern, die nicht einfach drucken, sondern erst mühsam angepaßt werden müssen (mit neuen Computerprogrammen) kann jeder Anwender (neudeutsch: User) berichten. Die Maschinen sind saudumm. Kein Wunder - bei den Herstellern.

Das zeigt auch das Beispiel einer Wundermaschine, die gleichzeitig Kopierer, Telefax-Gerät, BTX-Terminal, Scanner, Computerdrucker, Mailbox (elektronischer Briefkasten) und Modem (Telefon für Computeranlagen) ist. Pardon: sein könnte. Denn diese verwandten Technologien, die die Elektronikproduzenten beherrschen, genauer: herstellen (zum Therma „beherrschen“ siehe oben), gibt es zwar als Einzelgeräte überall zu kaufen (billiger und besser meist ohne postgenehmigte FTZ-Nummer), als eierlegendes Wollmilchsau-Kompaktgerät bleibt es aber vorerst ein Phantas(tisches)ie-Produkt.

ls Linker kommt man da schnell auf Ideen: Die Großkonzerne halten dem Kunden solche Produkte vor, um durch den Verkauf von drei, vier Geräten (mit den gleichen Tasten, ähnlichen Gehäusen, identischen Netzteilen und baugleichen Chips) mehr zu verdienen. Doch solche Unterstellung setzt voraus, daß jene Firmen, die in Annoncen und Prospekten das durch und durch informierte Büro propagieren, fiese, aber immerhin schlaue Gedanken spielen lassen. Weit gefehlt - das ist zumindest der erste Eindruck nach einem kurzen Rundruf. Vielmehr scheinen in diesen Firmen verschiedenen Abteilungen einfach nebeneinanderher zu wurschteln: hier eine Vertriebsabteilung für Bürokopierer, dort eine für Telefaxgeräte (plus Telefone etc.) - und hinten eine für Computerdrucker.

Dabei würde gerade ein solches Kombigerät für jede Firma, jeden Freiberufler, jede Initiative und jeden Verein das zukünftige Büroherz werden. Neben den schon bekannten Bürotätigkeiten (Fotokopieren, Telefaxen, Computerausdrucke usw.) käme eine Anwendung dazu, deren gesellschaftliche und politische Tragweite heute überhaupt noch nicht abzusehen ist: das schnelle Erfassen von gedruckten Texten mit einem Gerät namens „Scanner“. Der tastet, wie bei einem Fotokopierer, mit Licht die Vorlage (zum Beispiel einen Zeitschriftenartikel) ab. Neuartige OCR-Software (OCR optical character recognition, also „optische Erkennung von Buchstaben“) wandelt das scheinbar wirre Strichmuster einer Bleiwüste in eine Textdatei, die mit einem handelsüblichen Computer weiterverarbeitet werden kann.

u theoretisch? Ganz praktisch: Heerscharen von Aktiven werden täglich auf dem Scanner Tageszeitungen, Wochenmagazine und monatliche Fachzeitschriften erfassen. Jedesmal wenn der Computer eines der eingestellten Stichworte (bei einer Anti-AKW-Gruppe etwa „Gorleben“ und „Strontium“, bei Sportvereinen beispielsweise „Medaillen“ und „Turnier“ und bei Hackern „Nasa“ und „Haspa“) erscheint, legt der Computer ein Stichwortverzeichnis samt Informationen (welche Zeitschrift? Welche Ausgabe? Welche Seite?) an. Und wenn dann für eine neue Gorleben-Anhörung die Anti-AKW-Gruppen die inhaltliche Vorbereitung treffen, brauchen Sie nur die wichtigen Stichworte anklicken - und der Computer spuckt seitenweise Infos aus.

Das kann man noch weiterspinnen: Internationale Datennetze auf Funkbasis (sind im Gegensatz zu Datennetzen auf Telefonbasis in sogenannten „Notstandszeiten“ nicht einfch zu kappen, deshalb in der BRD auch verboten) ermöglichen den weltweiten, schnellen Austausch von aktuellen Texten. Der amerikanische Freund scannt einen Fachzeitschriften-Text über neue Harrisburg-Folgen und schickt die gewonnene Textdatei an Kontaktpartner in aller Welt. Deren Empfangscomputer haben ein kleines feines Translator -Programm (kein Witz, gibt es heute schon - in zugegebenermaßen noch einfacher Übersetzungsqualität), anschließend wird der eingedeutschte Text samt Quellenangabe auf einer Festplatte abgelegt.

Von verschiedenen nichttechnischen Schwierigkeiten (Urheberrecht, Sicherstellung der Unverfälschtheit eines Textes etc.) einmal abgesehen: Wir stehen vor einer Zukunft, in der angesichts rasant fallender Festspeicherpreise (auf Festspeichern, etwa Disketten, bleiben die Daten auch, wenn man den Strom abschaltet - also anders als beim Arbeitsspeicher des Computers) kleine Gruppen, Vereine und Initiativen, ja selbst Einzelpersonen riesige, unzensierte Archive aufbauen können. Das „Hamburger Weltwirtschafts -Archiv“, ganze Universitätsbibliotheken, die ganze Welt des Wissens (und des Unsinns) auf ein paar opto-magnetischen Wechselfestplatten - schöne neue Welt.

Meine Prognose: Das ETA-Arbeiten (ETA: Elektronisches Text -Archiv) wird in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die (neben der normalen Textverarbeitung) am meisten eingesetzte Anwendung für PC's sein.

enn Sie sich mehr für die Prognosen und IBM & Co, die in Fachzeitschriften und jetzt auf der CEBIT 90 heiß diskutiert werden, interessieren: Deren Vorstellung von technologischer Zukunft heißt Multimedia Computer. Nichts anderes als eine Verknüpfung von CD-Plattenspieler, hochauflösendem TV -Gerät und Personal Computer. In neuartigen Spielwelten können enthemmte User zum Beispiel Tarzan spielen: Die unheimlichen Geräusche des Urwaldes in digitaler Qualität füllen den Raum, der Bildschirm (vielleicht eine kleine Farb -LCD-Brille - gleich erscheint alles lebensgroß) zeigt bewegtes Buschwerk und gefährliche Schlangen in beängstigend realistischer Pracht (die Computermaus kurz nach links geschoben, schon dreht sich auch der Bildausschnitt, als ob man den Kopf wirklich bewegt hätte), und einblendbare Landkarten zeigen den genauen (fiktiven) Standort bei der Durchquerung des Dschungels.

Natürlich kann man sich auch allerlei ähnliche Programme mit Lehrinhalten („Wir besuchen die Pyramiden“) vorstellen oder doch nicht. Denn der Programmieraufwand solcher Multimedia-Software wäre derart gigantisch, daß Beobachter der Szene angesichts der schon heute bei „normalen“ Programmen vorhandenen Fehler eine solche Software-Zukunft nur in weiter Ferne für eventuell denkbar halten. Da dürfte das Szenario von elektronischen Archiven realistischer sein. Auch wenn, wie die Fachzeitschrift c't (der 'Spiegel‘ unter den bundesdeutschen Computerzeitschriften) in seiner neuesten Ausgabe bei einem Test von Scanner-Lese-(OCR -)Programmen derzeit noch Mängel erkannte. Aber mit Mängeln müssen Computerbenutzer sowieso täglich leben.