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Chronik eines angekündigten Mordes

Entsetzen und Aufruhr in Kolumbien nach Anschlag auf Bernardo Jaramillo, Präsidentschaftskandidat der linken UP / Verteidigungsminister verdächtigt Drogenmafia  ■  Aus Bogota Ciro Krauthausen

Am Donnerstag morgen betrat Kolumbiens wichtigster linker Politiker, Bernardo Jaramillo von der Union Patriotica (UP), begleitet von seiner Frau und 15 Leibwächtern die Flughafenhalle im Westen der Hauptstadt Bogota. Plötzlich eröffnete ein jugendlicher Killer mit einer Maschinenpistole das Feuer auf den Präsidentschaftskandidaten. Jaramillo wurde mit vier Einschüssen im Unterleib in das Krankenhaus der Polizei eingeliefert. Zwei Stunden später gab der Gewerkschafter Angelino Garzon im Rundfunk bekannt: „Der Companero Bernardo Jaramillo ist so eben gestorben.“

Am Nachmittag bezichtigte der Verteidigungsminister den Chef des Kokainkartells von Medellin, Pablo Escobar, der Ermordung Bernardo Jaramillos. Die Geheimpolizei DAS verfüge über Tonbandaufnahmen, aus denen eindeutig hervorginge, daß der Kokainboß den Mord befohlen habe. Der Killer, der bei dem Schußwechsel am Flughafen leicht verletzt wurde, wird derzeit unter strikten Sicherheitsmaßnahmen im Krankenhaus verhört. Die Anschuldigung des Verteidigungsministers schienen sich abends zu erhärten, als in mehreren Rundfunkanstalten Anrufe eines anonymen Sprechers des Medellin-Kartells empfangen wurden, der eine neue Offensive der Drogenbarone ankündigte.

Wenige Minuten nach der Ermordung bis spät in den Abend hinein kam es in der Hauptstadt Bogota sowie in ganz Kolumbien zu schweren Auseinandersetzungen zwischen wutentbrannten Demonstranten und der Polizei. Die Gewerkschaften riefen zu nationalen Protestaktionen und Streiks auf. In der Bananenanbauregion Uraba, wo Bernardo Jaramillo seine politische Karriere begann und die UP stärkste Partei ist, wurde ein 48stündiger Generalstreik ausgerufen. Während sich die Streitkräfte in Alarmbereitschaft erklärten, beeilte sich der Bürgermeister der Hauptstadt, bis Montag Schulen und Universitäten zu schließen und ein Ausschankverbot von Alkohol zu verhängen. Der Leichnam des erst am vergangenen 11. März im Senat wiedergewählten Jaramillos soll bis zur Beerdigung am Samstag im Sitzungssaal des Kongresses in Bogota aufgebahrt werden. Derartige Trauerfeiern im Parlament kommen den KolumbianerInnen bekannt vor: Nachdem im August 1989 der liberale Luis Carlos Galan von der Drogenmafia erschossen wurde, ist Bernardo Jaramillo bereits der zweite ermordete Kandidat für die Präsidentschaftswahlen am 27. Mai.

Der 36jährige Anwalt Jaramillo gehörte zu den belietesten Politikern des Landes. Im Oktober 1987 war er zum Parteivorsitzenden der UP ernannt worden, die zwar die größte linke Partei Kolumbiens ist, bei den jüngsten Parlamentswahlen jedoch in weitem Abstand hinter den führenden Parteien der Konservativen und Liberalen liegt. Jaramillos Vorgänger, Jaime Pardo Leal, fiel ebenfalls den Todesschwadronen zum Opfer. Seit die UP 1985 aus den Friedensverhandlungen zwischen der kommunistischen Guerilla FARC und der damaligen Regierung hervorging, sind über tausend ihrer Mitglieder von paramilitärischen Schwadronen ermordet worden. Untersuchungen der Geheimpolizei und verschiedener Menschenrechtsgruppen haben ergeben, daß an vielen dieser Morde neben Kokainbaronen und Grundbesitzern auch Mitglieder der Streitkräfte beteiligt waren. Diego Montana Cuellar, Präsident der UP, sagte erst Anfang März gegenüber der taz: „Die zivile Regierung hat keine große Kontrolle über die Armee. Einige Sektoren der Streitkräfte handeln zusammen mit den Paramilitärs.“

Wenige Stunden nach der Ermordung Jaramillos kündigte das Direktorium der UP die Beteiligung an den Wahlen im Mai auf und forderte den sofortigen Rücktritt des Innenministers Carlos Lemos Simmond. Der hatte am Wochenende in einem Interview gemeint, die UP sei der „politische Arm“ der Guerillabewegung FARC. Am Vortag seiner Ermordung hatte Bernardo Jaramillo auf einer Pressekonferenz gekontert: „Erklärungen, die uns als Chef der Guerilla präsentieren, hängen uns einen Grabstein an den Hals und kommen einem Todesurteil gleich.“

Obwohl die öffentliche Bezichtigung des Innenministers den Todesschwadronen, die sich als Befreier Kolumbiens von der Guerilla verstehen, eine Rechtfertigung in die Hand gespielt haben könnte, weigerte sich Carlos Lemos zurückzutreten: „Das würde einem Schuldbekenntnis gleichkommen.“ Sein Vorgesetzter, Präsident Virgilio Barco, ist da möglicherweise anderer Meinung. In einem öffentlichen Brief hielt er es am Donnerstag nachmittag für „inakzeptabel“, Verbindungen zwischen der UP und der Guerilla herzustellen. Tatsächlich stand die UP lange Zeit der FARC nahe, um es so mit der Gewalt der Paramilitärs und der Streitkräfte aufzunehmen. Doch in den letzten Monaten hatte die UP verstärkt einen der FARC gegenüber kritischen Kurs eingeschlagen. Gerade Bernardo Jaramillo hatte auf eine solche zivile Politik gedrängt und wiederholt das bewaffnete Projekt der Guerilla für gescheitert erklärt.

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