Kohl mit großer Geste in Brüssel

■ Anpassung der deutschen Währungsunion an die europäische und mehr Kommunikation angekündigt / Zeitplan soll aber nicht geändert werden / EG spricht von „historischem Besuch“

Brüssel (taz) - Kohl als Dichter - nach dreistündigen Beratungen mit Kommissionspräsident Jacques Delors und den EG-Kommissaren präsentierte sich der Bundeskanzler gestern vor europablauem Hintergrund in Brüssel: „Ich sage das ganz offen. Der Rhein strömt dahin. Und ich habe noch nie jemanden erlebt, der ihn aufhalten kann. Wenn sie ihn doch aufhalten wollen, tritt er über die Ufer und zerstört alles. Mal fließt er schneller, mal langsamer. Doch er kommt durch und erreicht das Meer. So ist es mit Europa.“

Von Kohls Schalmeienklängen ergriffen, mühte sich sogar EG -Visionär Delors gestern im asbestverseuchten EG -Hauptquartier in Brüssel ein Lächeln ab. Schließlich hatte es der Kanzler ganz offen gesagt: „Ich habe mich nicht verändert. Wir wollen nicht das Vierte Reich. Wir wollen niemanden überrollen. Wir verhalten uns nicht wie Elefanten im Porzellanladen. Wir wollen deutsche Europäer und europäische Deutsche sein. Dazu suchen wir auch die Hilfe der Kommission.“

So viel rheinischem Charme konnte auch die Eurokraten nicht widerstehen. Jedenfalls stellten sie nach Kohl Besuch Zufriedenheit zur Schau. „Symbolische Bedeutung“ heißt das in der Brüsseler Amtssprache. Denn noch vor wenigen Tagen hatte Delors vor einem nationalen Alleingang der Deutschen gewarnt. Die Eurokraten scheinen jetzt davon auszugehen, daß Kanzler Kohl zwei wesentlichen Forderungen des EG -Kommissionspräsidenten Delors zugestimmt hat: Erstens soll die Europäische Währungsunion parallel zur deutsch-deutschen Einigung beschleunigt werden, zweitens soll der deutsche Prozeß in enger Kooperation mit der EG stattfinden.

Kohl hatte allerdings lediglich von „enger Kommunikation“ beim deutsch-deutschen Geschäft gesprochen. Und bei der Währungsunion bleibt es nach Kohl beim bisherigen Zeitplan: „Für die Währungsunion werden wir die Arbeit straffen. Wir werden auch mit Blick auf die deutschen Ereignisse schneller arbeiten müssen.“

Doch von einer Vorverlegung der entscheidenden Regierungskonferenz auf Juli, wie es Delors zusammen mit den Regierungschefs Italiens, Frankreichs und Irlands gefordert hatte, war bei dem Deutschen nicht die Rede. Immerhin wegen der „Berufung Deutschlands“: „Der EG-Gipfel Ende des Jahres wird die Frage erörtern, ob es nicht sinnvoll ist, eine Regierungskonferenz abzuhalten, um die europäische politische Union weiter voranzutreiben.“

Michael Bullard