Stasi-Vergangenheit eint PDS und CDU

CDU und PDS gegen Überprüfung aller Volkskammerabgeordneten / Generalstaatsanwalt besteht auf Immunität der Volksvertreter / SPD fordert parlamentarischen Untersuchungsausschuß / Verdacht gegen de Maiziere wegen Stasi-Zusammenarbeit verdichtet  ■  Aus Ost-Berlin Brigitte Fehrle

In Ost-Berlin formierte sich gestern eine befremdende Koalition gegen Vergangenheitsbewältigung. Während das Mißtrauen gegen den designierten Regierungschef de Maiziere in bezug auf seine Stasi-Ko operation wächst, zeigten sich Christdemokraten und PDS darin einig, daß die 400 neugewählten Volkskammerabgeordneten nicht auf ihre mögliche Stasi -Mitarbeit hin überprüft werden sollen. Lothar de Maiziere (CDU) nannte als Begründung für die ablehnende Haltung seiner Partei, er befürchte „unverhersehbare politische und moralische Folgen“.

Lothar de Maiziere äußerte sich gestern zu den anhaltenden Gerüchten über seine eigene Stasi-Vergangenheit. Er habe nie eine Verpflichtungserklärung gegenüber dem Ministerium für Staatssicherheit abgegeben, sagte er, und auch kein Geld angenommen. Das, so de Maiziere, sei sein letztes Wort, „eine weitere Erklärung wird es nicht geben“.

Fragen an Lothar de Maiziere wird es allerdings weiterhin geben, denn die Gerüchte bleiben bestehen. So gab der DDR -Regierungsbeauftragte für die Auflösung des Amtes für Nationale Sicherheit, Werner Fischer, an, de Maiziere sei in den Akten der Ostberliner Staatssicherheit unter dem Decknamen „Scerny“ geführt worden. Außerdem gebe es Hinweise auf seinen früheren „Führungsoffizier“ bei der Stasi, sagte Fischer dem Kölner 'Express‘. Er schloß allerdings nicht aus, daß es sich bei den Vorwürfen um eine „gezielte Kampagne“ gegen de Maiziere handeln könne. Zugleich wies er aber darauf hin, daß es sich um „sehr ernst zu nehmende Informationen“ handele, deren Absender derselbe sei wie im Fall des zurückgetretenen DA-Vorsitzenden Wolfgang Schnur. Hinweise auf die Stasi-Mitarbeit des CDU-Vorsitzenden gebe es zudem auch aus „anderen Quellen“.

Auf Aufforderung der Untersuchungskommission zur Aufklärung der Aktivitäten der Staatssicherheit sollten alle Fraktionen bis gestern nachmittag entscheiden, ob sie einer solchen Überprüfung zustimmen. Die DDR-Sozialdemokraten hatten ihr Einverständnis bereits vor zwei Tagen bekanntgegeben. Auch das linke Bündnis 90 ist für die Überprüfung.

Sowohl CDU als auch PDS verstecken sich bei ihrer Ablehnung der Überprüfung der Abgeordneten hinter formalen Argumenten und berufen sich auf eine Entscheidung des Generalstaatsanwaltes. Der hat gestern erklärt, die Akten der neugewählten Abgeordneten könnten nicht eingesehen werden, ehe sich nicht die neue Volkskammer konstituiert habe. Aus „rechtsstaatlichen Gründen“ lehnt der Staatsanwalt jede Mitarbeit an der Auswertung der Akten zum augenblicklichen Zeitpunkt ab. Er sei nicht befugt, in die Persönlichkeitsrechte der Abgeordneten einzugreifen. Sie stünden unter Immunität.

Dieser Auffassung schloß sich auch das Präsidium der Gysi -Partei an. In einer PDS-Erklärung hieß es, die Entscheidung über die Überprüfung könnten nur die Abgeordneten selbst treffen.

Die SPD hat am Freitag nachmittag bereits auf die CDU-PDS -Ablehnung reagiert und den Vorschlag gemacht, auf der ersten Sitzung der Volkskammer einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß einzurichten, der die Abgeordneten Fortsetzung auf Seite 2

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überprüft. Um die Integrität des Parlaments zu gewährleisten „und Verdächtigungen von seinen Mitgliedern abzuwenden“, fordert die SPD: „Alle gewählten Mitglieder sollten einer persönlichen Überprüfung zustimmen.“

„Wahlbündnis 90“ und die Grüne Partei übten gestern Kritik an der CDU/PDS-Entscheidung. Konrad Weiß von Demokratie Jetzt warf Generalstaatsanwalt Joseph „Verzögerungstaktik“ vor. Dadurch werde „eine Rechtslage präjudiziert, die noch nicht gegeben ist“. Auch der Regierungsbevollmächtigte Fischer ist anderer Ansicht als Joseph. Er fragte, inwieweit die General

staatsanwaltschaft überhaupt entscheiden könne, was verfassungswidrig ist.