Große Koalition im Stasi-Verdacht

■ Nach Lothar de Maiziere jetzt auch Ibrahim Böhme vom 'Spiegel‘ belastet / SPD unter großem Koalitionsdruck / West-Genossen wünschen Regierungsbeteiligung

Berlin (taz/dpa/adn) - Nach Spitzenpolitikern der CDU ist jetzt auch der SPD-Vorsitzende Ibrahim Böhme in den Verdacht geraten, der Stasi jahrelang Informationen geliefert zu haben. Gleichzeitig verstärkte sich am Wochenende der Druck auf die SPD, mit der „Allianz für Deutschland“ unter Einschluß der DSU und den Liberalen eine große Koalition zu bilden.

Als Reaktion auf einen Bericht, der heute im Hamburger 'Spiegel‘ erscheint, schlug Böhme in einem Brief an den SPD -Vorstand vor, bis zur „jetzt eingeleiteten Klärung der MfS -Angelegenheiten alle Informationsgespräche“ zwischen den Volkskammer-Fraktionen auszusetzen. Auch aus „nationalem Interesse“ sollte mit den Fraktionsvorsitzenden aller in Frage kommenden Parteien darüber eine Einigung erzielt werden. Schließlich werde auch der CDU-Vorsitzende und womöglich künftige Ministerpräsident Lothar de Maiziere, beschuldigt, Stasi-Mitarbeiter gewesen zu sein. Unter dem Decknamen „Czerni“ soll er von den Führungsoffizieren Hasse und Dohmeier geführt worden sein, so der „Spiegel“ unter Berufung auf einen dreiseitigen Denunziantenbrief.

De Maiziere hatte die Vorwürfe als „reinen Quatsch“ bezeichnet. Bereits am Freitagabend hatte sich nach dem Generalstaatsanwalt und der PDS auch die Regierungskommission mehrheitlich dafür ausgesprochen, die vertrauliche Überprüfung der 400 Volkskammerabgeordneten auf eine mögliche Stasi-Mitarbeit erst nach der Konstituierung des Parlaments zu beginnen.

Zwei ehemalige Stasi-Offiziere hatten in der jüngsten Ausgabe des 'Spiegel‘ erklärt, Böhme habe seit Mitte der 70er Jahre bis zur Wende unter den Decknamen „Paul Bongartz“, „Dr. Rohloff“ und „Maximilian“ dem Staatssicherheitsdienst Informationen aus der Theaterszene und über Oppositionsgruppen zukommen lassen und sei für diese Dienste auch bezahlt worden. Böhme wies in dem Magazin die Beschuldigungen als „infam“ zurück. In seinem Schreiben an den SPD-Vorstand und die Volkskammerfraktion betonte Böhme: „Ich erkläre trotz anderslautender Behauptungen und Vermutungen, nie für das Ministerium für Staatssicherheit und nie mit demselben gearbeitet zu haben.“

Die Stimmen für einen Beitritt der SPD zu einer großen Koalition in Ost-Berlin sind unterdessen stärker geworden. Lothar de Maiziere, hielt eine große Koalition mit der SPD nach wie vor für wünschenswert: „Von dem Angebot an die SPD machen wir keine Abstriche“, betonte er in der 'Welt am Sonntag‘.

Als „Unsinn“ und „völlig verfehlt“ bezeichnete der Kanzlerkandidat der SPD in der BRD, Oskar Lafontaine, Spekulationen, er sei gegen eine große Koalition in Berlin. Er stehe einer Regierungsbeteiligung der SPD in der DDR nicht im Wege.

Für ernsthafte Sondierungsgespräche mit der CDU sprach sich auch das Vorstandsmitglied der SPD, Konrad Elmer, aus. Der Vorsitzende des Demokratischen Aufbruchs, Rainer Eppelmann, betonte, die SPD dürfe sich einer Koalition zum Aufbau des Landes nicht verweigern. Lediglich das Präsidiums-Mitglied der SPD, Christoph Matschie, befürchtete, seine Partei könne in einer großen Koalition das „fünfte Rad am Wagen“ sein.

Für die Oppositionsbank in der Volkskammer haben am Wochenende das „Bündnis 90“ und die Grünen beschlossen, eine gemeinsame Fraktion zu bilden.