TORSO IN BLAU

■ Griechische Künstler im U-Bahnhof Schlesisches Tor

Türkische Kinder toben durch den Raum. An den Wänden hängen Bilder. Ein Stockwerk höher rollt die U-Bahn spürbar über die Gleise. Ab und an machen die Kinder vor den Bildern halt und tuscheln miteinander.

Seit dem 1.1.1990 steht der Erdgeschoßraum unter dem U -Bahnhof Schlesisches Tor, früher als Kaufhaus, später als Stadtteilzentrum genutzt, Bürgerinitiativen aus Ost- und West-Berlin zur Verfügung. In Zusammenarbeit mit dem „Verein griechischer Akademiker“ zeigen dort acht in Berlin lebende griechische KünstlerInnen ihre Arbeiten. „Griechische Kreise“ - der Ausstellungstitel produziert prompte Assoziationen: blauer Himmel und weiße Häuser, Sirtaki und Souvlaki, antike Skulpturen und Vasenmalerei. Derlei Stereotypen aus folkloristischen oder traditionellen Elementen finden sich in den Arbeiten der jungen KünstlerInnen allerdings kaum wieder.

Auch an die Tradition des Kritischen Realismus, über zwei Jahrzehnte dominierende Stilrichtung in Griechenland, knüpft diese Ausstellung nicht an. Sowohl die Auseinandersetzung mit der konfliktreichen griechischen Geschichte der jüngsten Zeit - die Militärjunta wurde erst Mitte der 70er Jahre gestürzt - als auch die Beschäftigung mit der neuen, fremden Heimat Deutschland ist in den vorgestellten Arbeiten ausgeblendet. „Unsere Bilder hätten überall auf der Welt entstehen können“, sagt Giannis Markopoulos, einer der Künstler. Einzige Ausnahme ist die Installation „Kohle für Deutschland“ von Christos Bouronikos. Briketts sind ordentlich zu einer hohen Mauer gestapelt. Darin eingebaut bunte Farbplatten als Gedenktafeln. Anstelle mahnender Worte finden sich Nester mit golden gemalten Eierkohlen.

In den Arbeiten der anderen KünstlerInnen sind gesellschaftskritische Aspekte weniger deutlich wahrnehmbar. Statt dessen malerische Annäherungen an die Themen: Figur, Bewegung, Raum. Auf drei großformatigen Ölbildern von Mantalina Psoma sitzen Frauen in pink- und türkisfarbenen Wohnräumen. Ihre Gesichter sind flächig und leer, die Farben poppig - um das Dazwischen müssen sich die BetrachterInnen selbst kümmern.

Auf Nikos Konzanitis‘ Bildern sind Figuren in Bewegung. Gezeichnet oder in Öl gemalt, turnen ArtistInnen elegant durch ein Gewirr aus Stangen und Seilen. Bei näherem Hinsehen entwirrt sich die bunte Scheinharmonie, die Figuren greifen daneben und stürzen ins Leere. Mitten im Raum steht eine kleine, fragile Drahtskulptur von Stavros Panagiotakis. Als die Hochbahn losfährt, beginnt die „Figur im Regen“ leicht zu vibrieren.

Von Giorgos Xenos wird quasi gestisch das Thema Torso behandelt. Ein dunkler, zersplitterter Rumpf steht in einem herbstlichen Ährenfeld oder vor einem hellblauen Himmel. Köpfe lassen sich erahnen, Flügel sind zu erkennen. Die drei Acrylbilder haben keine Titel, und doch drängt sich der Gedanke an Ikarus auf. Figurative Elemente spielen in den Arbeiten von Lila Polenaki nur eine untergeordnete Rolle. Zeitungsausschnitte, Briefe und Papierfetzen sind auf drei Leinwände geklebt und werden von gekritzelten Worten und schemenhaften Zeichnungen überlagert. „Sin I, II, III“ heißen diese Versuche des Spurensammelns. Neue (Erinnerungs -)Spuren werden gelegt. In den sechs Papierarbeiten von Thrafia Daniylopoulos haben sich Figuren zu runden, bauchigen Formen verdichtet. Wie festgefroren auf weißen, leeren Blättern erscheinen sie, Erdklumpen gleich. Dennoch verleihen ihnen silbrige und goldene Pigmentspuren etwas Flüchtiges. Die Stille dieser Arbeiten wird durch drei knallige Bilder von Giannis Markopoulos gestört. Pink, Orange, Gelb und Giftgrün - schrille Farbflächen stoßen aneinander und fordern Abstand. Aus der Distanz entsteht beim Zusammensetzen im Kopf ein wirrer Mikrokosmos von Tieren: Biene, Tintenfisch, Käfer.

Die Vielzahl divergierender Ausdrucksformen erweist sich bei Gruppenausstellungen als problematisch. Bilder müssen nebeneinander hängen, die nur wenig miteinander zu tun haben. Um das Sammelsurium unterschiedlicher Ansätze zu strukturieren, hat man versucht, die Arbeiten nach Themenkomplexen geordnet zu präsentieren. Die bunten, schrillen Bilder drängen sich aber allzu heftig in den Vordergrund und lassen die leisen, erzählenden Bilder gar nicht zu Wort kommen.

Dafür ist der Raum unter den Hochbahngleisen für beiläufige Besuche geeignet. Hausfrauen schauen nach dem Einkaufen vorbei, Kinder bewegen sich ungezwungen vor den Bildern, die KünstlerInnen sitzen zum Gespräch bereit. Zittern tun nur die Bilder, gelegentlich.

Michaela Lechner

Die Ausstellung ist noch bis zum 31.März Dienstag bis Freitag von 12-19 Uhr im U-Bahnhof Schlesisches Tor (Erdgeschoß) zu sehen.