GROSSBERLIN AUS FERTIGMÜLL?

■ Perspektiven zur Stadtplanung in der Werkbund-Galerie

Als Provokation gegen die im geheimen tagenden Senatsverwaltungen für Stadtentwicklung und Bauwesen zum Thema „Hauptstadt Berlin“ wollen Reiner W. Ernst vom Werkbund und sein Ostberliner Kollege Kuntzsch von der Kunsthochschule Weißensee ihre Ausstellung „Perspektiven durch Verbindungen - Neue Aufgaben für die Stadtplanung in Berlin - Ein Werkstattbericht“ verstanden wissen: Groß -Berlin als Vorstellung habe zunächst Euphorie und Übermut freigesetzt, jetzt seien aber Unsicherheit, Skepsis und Unzufriedenheit an ihre Stelle getreten, weil nicht nur hinter verschlossenen Türen geplant und große geometrische Lösungen (Schreyers Berliner „Zungenmodell“) gehandelt werden, sondern tagtäglich neue Spekulationen darüber auftauchen, wer wo was wann für wieviel kriegt. (Wann rast Nagel mit seinem neuen Daimler durchs Brandenburger Tor?) Wenn Architektur und Stadtplanung die Kräfte widerspiegeln sollen, die bei ihrem Entstehen wirksam waren, müssen demokratische Prozesse die Voraussetzung sein. Ein öffentliches Forum, eine „Werkstatt“, wäre ein erster Impuls, der Neues und Altes, Überraschendes und Chaotisches für die zukünftige Entwicklung zutage fördern könnte. Die Ausstellung ist deshalb eine Absage an Apparate, Bürokraten und Beamte.

Das Wandrelief von Dietmar Starke mit einer irrealen Topographie Berlins um den Zentralen Bereich ist eine Drohung: Mit Glasscherben und Plastikwürfeln, Blechteilen und nichtexplodierten China-Krachern, die allesamt als antikommunistische Wurfgeschosse von Protestpodesten auf den „Todesstreifen“ hinter die Mauer flogen, hat Starke eine Stadtcollage aus heterogenem Material in flackernden Farben gebastelt. Die Fundstücke sind auf ein Stück Grenzzaun montiert, der die Stadt als Patchwork aus Splittern von „ready-mades“, schnell fabrizierten und vorgefertigten Teilen unseres Wohlstandsmülls, erscheinen läßt. Man gewinnt kein fotografisches Abbild von ihr, kein geordnetes Puzzle aus Häusern, Straßen und Plätzen, wo sich Ecken und Kanten korrekt in die vom Grundriß ausgestanzten Buchten fügen. Grobe Figuren bekannter Viertel tauchen dagegen aus dem Raster auf - der Tiergarten mit der Straße des 17. Juni, der Alexanderplatz, das Kulturforum oder der Potsdamer Platz, die wie mutwillig hingepflanzt wirken. Die Mitte Berlins besteht aus zusammengeschmissenem Schutt historischer wie modischer Wiederbelebungsversuche.

Starkes Wandrelief muß in der Ausstellung als Schreckvision herhalten für den Anteil an Surrealem, das Berlin real blüht, werden die megalomanen Hauptstadtträume mittels nationaler Wahnvorstellungen und großstädtischer Sucht ohne Halt umgesetzt. Ohne daß man sich um die unterschiedliche Urbanität beider Halbstädte richtig kümmerte, käme ein schnell zusammengenietetes räumliches Konglomerat atemloser Stadtplanung heraus, dessen einziges Kriterium Geschwindigkeit wäre. „Berlin ist dazu verdammt, immer zu werden, niemals zu sein“, schrieb 1911 Karl Scheffler. Rasches Tempo und immerwährende Veränderung sind auch jetzt wieder Trumpf. Es herrscht der totale Verkehr - zu Lande, zu Wasser und natürlich in der Luft.

Mit Blick auf die Mitte („Zentraler Bereich - Bereich für Zentralen?“) und in Erinnerung an das Bild verlorener Größe (Feudale Planung - Speerplan) steht deshalb im Mittelpunkt des Werkstattberichts ein Aufruf zur Langsamkeit gegen endgültige Ergebnisse, als sei das Ziel erst mit dem Weg zu finden, der selbst noch gesucht werden muß. Anhand von Stadtplänen und Fotos werden städtebauliche und architektonische, verkehrstechnische und ökologische Indizien aufgespürt, wie beide Stadthälften die räumliche Teilung so überwinden können, daß die städtische Textur wieder quer zur Mauer, dem „Psychogramm Berlins“, gedacht und wie mit noch bestehenden Strukturen die Kontinuität fortgesetzt oder interpretiert werden kann. Werden Brüche registriert, die nur durch Neuplanungen aufgehoben würden, stellen die Ausstellungsmacher mit Recht die Frage, ob der Gegensatz zweier Welten nicht thematisiert werden sollte, weil seine Verschleierung einen reibungslosen Übergang nur vortäuscht.

Der Werkstattbericht schlägt vor, die beiden Stadthälften könnten an bestimmten Punkten regelrecht „zusammengenäht“ werden, ohne daß dabei eine auf einen Mittelpunkt gerichtete Stadtplanung entstünde: Zwischen den Stadtteilen entwickeln sich bauliche Brücken, die die dezentralen, polyzentristischen Strukturen Berlins noch vertiefen. Zugleich sollen die bisherigen Stadtkanten zum Umland erhalten bleiben, zur Verdichtung nach innen, damit eine blindwütige Zersiedelung den Naturraum nicht vernichtet. Die möglichen Erweiterungen der Stadt nehmen dabei Rücksicht auf die bisherige Dynamik im Umland und orientieren sich nicht an den Ordnungssystemen vergangener Modelle.

So weit, so eigenständig. Guckt man aber in die weiteren Planspiele, die an der Wand hängen, so glaubt man Bekanntes, hauptsächlich Grün-Alternatives herauszulesen, was ja auch gar nicht schlecht ist. Im Gegenteil. Es scheint an der Zeit, wieder darauf zurückzukommen! So werden Möglichkeiten gezeigt, wie Wasserstraßen und Verkehrswege, U- und S-Bahnen zu einem Wegenetz ausgebaut werden können, ohne das existierende urbane und ökonomische Gefüge der Stadt zu verletzen, d.h. umzukrempeln. Die Stadt soll vor dem Auto regelrecht geschützt werden. Fuß- und Radwege werden weiter ausgebaut und Ideen zur Erweiterung der Grünflächen geliefert.

Eine überstürzte Rekonstruktion Berlins unter Verwendung bedenklicher Modelle aus der Vergangenheit ebenso wie eine modisch blindwütige Bauwut aus eben jenen „ready-mades“ würden Berlin schrill, fast unbewohnbar machen. Schnell, austauschbar und aus Blech gestanzt, mit einer ruhelosen Außenhaut, stehen diese Modelle für die rasche Vergänglichkeit, der Architektur ausgesetzt zu sein scheint, ist sie für den sofortigen Gebrauch gebaut: ad-hoc gewissermaßen und nur für den Augenblick, ebenso wie ihre Bewohner.

Angesichts der plattwalzenden Zuzugseuphorie Bonner Politiker und ihrer Verwaltungen sowie der in vorauseilendem Gehorsam dienernden Berliner Parteibonzen scheint der Vorschlag des Werkstattberichts, eine behutsame Entwicklung innerhalb einer staatlichen Konföderation anzupeilen, geradezu absurd. Eben darum taugt er.

rola

Die Ausstellung „Perspektiven durch Verbindungen“ ist bis zum 27.4. in der Werkbund-Galerie zu sehen. Goethestr. 13, 1 -12, mo-fr 16-18.30 Uhr.