Kein Gasspeicher im Grunewald?

■ Anwohner des geplanten Erdgasspeichers streben Baustopp an / Oberverwaltungsgericht entschied völlig überraschend: Zulassung des 800-Millionen-Projekts ist „ungültig“ / Die Kläger fordern einen Ersatzstandort im Berliner Umland / Gasag will trotzdem weiterbauen

Nach einem überraschenden Erfolg vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) am späten Freitag abend wollen die Anwohner des geplanten unterirdischen Gasspeichers im Grunewald nun die Bauarbeiten an dem 800-Millionen-Mark -Projekt stoppen. Heute wollen die Bürger mit ihrem Rechtsanwalt besprechen, ob sie per einstweiliger Verfügung kurzfristig einen Baustopp erreichen könnten. Sie fürchten, wie berichtet, daß ein unkontrollierter Gasausbruch („Blow -out“) in der Speicherbetriebszentrale an der Glockenturmstraße explosive Gaswolken freisetzen und ihr nur 100 Meter entferntes Wohngebiet bedrohen könnte. „Wir haben uns über die Gerichtsentscheidung natürlich irrsinnig gefreut“, sagte Andrea Rahmel, die Sprecherin der Kläger. Die Entscheidung des OVG sei trotzdem erst ein „Etappensieg“.

Völlig überraschend hatte das Gericht die vom Bergamt vergebene Zulassung des Rahmenbetriebsplans für den Speicher für ungültig erklärt. Im Gegensatz zur ersten Instanz, die vor zwei Jahren eine Anwohnerklage abgewiesen hatte, bemängelte das OVG nun „mehrere Rechtsfehler“. Gasag und Bergamt hätten bei der Zulassung nicht das „Risikopotential“ untersucht, das mit dem Betrieb des unterirdischen Speichers verbunden sei, kritisierte das Gericht. „Entgegen dem Bundesbergbaugesetz“ sei die Gasag überdies von der Pflicht „freigestellt“ worden, sogenannte Hauptbetriebspläne aufzustellen. Genau diese Pläne seien aber das „zentrale Kontrollinstrument“, mit dessen Hilfe Gefahren des Speicherbetriebs „ausgeschlossen“ werden sollten, erklärte das Gericht. Statt dessen habe der Rahmenbetriebsplan eine Art von Salamitaktik ermöglicht: Zahlreiche Teilprojekte des Speichers, dessen Betriebszentrale längst im Bau ist, seien genehmigt worden, ohne daß die gesamte Anlage jemals „abschließend“ auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gesetz untersucht worden sei.

Eine Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht steht der Gasag jedoch offen - und der Gerichtsbeschluß bedeutet keinen Baustopp. „Die Bauarbeiten werden fortgesetzt“, bekräftigte gegenüber der taz der technische Geschäftsleiter der städtischen Gesellschaft, Jan-Derk Aengeneyndt. Ab 1993 will die Gasag, wie mehrfach berichtet, das aus der Sowjetunion gelieferte Erdgas in poröse Gesteinsschichten gut 800 Meter unter dem Grunewald pressen. Über eine Milliarde Kubikmeter des „Russengases“ sollten im Endstadium unter die Erde kommen. Davon waren 650 Millionen als „strategische Reserve“ veranschlagt. Sie sollten gebunkert werden, weil die Alliierten Moskauer Erpressungsversuche fürchteten.

Dieser Zweck des Speichers hat mittlerweile zwar weniger Gewicht; zwei andere Gründe bewegen Senat und Gasag aber dennoch dazu, an dem Projekt festzuhalten: Technische Störungen könnten die Erdgaslieferungen behindern, und außerdem brauche die Gasag einen „Puffer“ für den Ausgleich zwischen den Jahreszeiten. Den Vorschlag der Anwohner, gemeinsam mit der DDR eine neue Lösung zu finden, lehnt die Gasag ab. Der nächstgelegene bestehende Speicher in Buchholz bei Ost-Berlin reicht nach Aengeneyndts Wissen „jetzt schon für Ost-Berlin nicht aus“ - der Ausstieg aus der Braunkohle könnte den Erdgasbedarf in der DDR noch steigern. Auch eine komplette Neuplanung an einem völlig neuen Standort im Umland lehnt der Geschäftsleiter ab: Sie würde die Umstellung von Stadtgas auf das umweltfreundliche Erdgas „um zehn Jahre zurückwerfen“.

Die bisherigen Gespräche mit der DDR hätten auch den Senat „erheblich bestärkt“, an dem Speicher im Grunewald festzuhalten, bestätigte der Sprecher des für die Gasag zuständigen Senators Wagner, Steinke. Auch für Staatssekretär Groth von der AL-geführten Senatsumweltverwaltung „spricht bisher alles dafür“, daß der Erdgasbunker „unverzichtbar“ ist. „Mögliche Rechtsfehler“, wie sie das Gericht bemängelte, wären nach Ansicht der Gasag „heilbar“ - indem fehlende Betriebspläne nachgereicht werden. Die Anwohner könnten dann allerdings erneut vor Gericht ziehen. Über ihre „Sicherheitsbedenken“ wollte das OVG am Freitag gar nicht „abschließend“ befinden, weil diese Frage erst bei der Zulassung der Betriebspläne ansteht. Gasag-Geschäftsleiter Aengeneyndt ist sich sicher: „Die Rechtsanwälte haben noch lange zu tun.“

hmt