In einem Kriegsgefangenenlager der EPLF

Nach wie vor befinden sich mehrere tausend äthiopische Soldaten in Kriegsgefangenschaft der EPLF / Sie werden von äthiopischer Seite als Deserteure betrachtet  ■  Aus Orota/Eritrea M. Zimmermann

Mit einem Jeep der eritreischen Befreiungsfront EPLF sind wir in einem der Gefangenenlager nahe der sudanesischen Grenze angekommen. In diesem langgestreckten Tal leben 2.500 äthiopische Kriegsgefangene im Alter von 14 bis 54 Jahren. 180 davon sind Offiziere. Die meisten von ihnen gerieten im Frühjahr 1988 in die Gefangenschaft der EPLF.

Im einsetzenden Regen bietet sich uns ein gespenstisches Bild: Eine Kolonne von Gefangenen, in Plastikplanen gehüllt, marschiert in ihre Unterkunft - einem nicht überdachten Quadrat aus aufgeschichteten Steinen, an dessen Ecken kleine Wachtürme stehen.

Übernachtet wird im Freien. Eine Decke und Plastikplane besitzt jeder Gefangene. Die Bewachung ist relativ locker, nur wenige Posten sind zu sehen.

Wohin sollen die Leute auch fliehen? Die Wüste ringsum bietet keine Chance zu überleben. Im Lager ist die Versorgung mit Nahrung und medizinischer Betreuung gewährleistet. Den Tagesablauf bestimmen Schule und politischer Unterricht. Die Gefangenen haben eine Kulturgruppe und mehrere Fußballmannschaften.

Ansonsten heißt es hoffen und warten. Auf ein Ende des Krieges, auf die Freilassung. Die Kriegsgefangenen wissen, daß die EPLF schon Tausende von ihnen freigelassen hat. Was sie von ihrer Zukunft erwarten, fragen wir. „Wenn die EPLF mich gehen läßt, werde ich ins Ausland gehen. Nach Hause kann ich nicht. Für die bin ich ein Verräter.“

Leutnant Molugta Haile Gossam weiß, wovon er spricht. Schließlich hat er als Politkommissar im Stab von Afabet gedient. Von der eigenen Regierung verleugnet und im Stich gelassen fühlen sich vor allem die Offiziere. Manch einer von ihnen hat mit Stolz seinem Land „gedient“.

In den Gesprächen mit den einfachen Soldaten wiederholen sich Schicksale. Zwangsrekrutierte Bauern, Kanonenfutter für das äthiopische Streben nach Vorherrschaft in der Region. Menschen, die in die Armee gepreßt wurden und nicht einmal wußten, warum und gegen wen sie eigentlich kämpfen sollen. Offiziere des Lagers bestätigten die Erzählungen der einfachen Soldaten: Teilweise wurden sie mit vorgehaltenen Waffen gezwungen, die Stellungen der eritreischen Unabhängigkeitsbewegung anzugreifen.

Abbu Gebremichael ist 15 Jahre alt. Einer der vielen jugendlichen äthiopischen Kriegsgefangenen, die in den letzten Monaten gefangengenommen wurden. Sein Bericht bestätigt Meldungen über verstärkte Zwangsrekrutierungen in Äthiopien.

„Ich habe mit Freunden Fußball gespielt, als wir von der Miliz umstellt wurden. Sie haben uns einfach mitgenommen und in verschiedene Ausbildungslager gebracht. Meine Familie hat keine Informationen, was mit mir geschehen ist. Das war im Februar 1988. Ich war Schüler der Mittelschule in Arussi (Süd-Äthiopien). Die Militärausbildung dauerte zwei Monate. Über Asmara kamen wir an die Front in der Nähe von Keren, vier Tage war ich dort, als der Kampf begann. Die ganze Armee ist geflüchtet. Ich wußte nicht, wohin. Dann bin ich gefangengenommen worden.“

Über den Krieg in Eritrea hat er nicht viel gewußt. Woher auch. Bislang hat das äthiopische Regime stets nur vom Kampf gegen eine Handvoll Banditen gesprochen, die im Auftrag der Araber Eritrea abspalten wollen. „Bei der Armee hat man uns erzählt: Wenn die dich gefangennehmen, wirst du gefoltert und getötet.“

Die Angst nach der Gefangennahme ist der Erleichterung gewichen. Abbu wurde weder getötet noch gefoltert. Die Behandlung ist fair, versichert er uns. Einen seiner Fußballfreunde hat er hier im Lager wiedergetroffen. Die anderen? Schulterzucken. Vielleicht tot, vielleicht in einem anderen Lager. Irgendwo, er weiß es nicht.

„Ich habe Heimweh. Ich will nach Hause zu meiner Mutter“, bricht es aus dem Jungen heraus, als wir ihn nach seiner Zukunft fragen. Wir können ihm nicht helfen. Mit gesenktem Kopf und hängenden Schultern geht er in seine Unterkunft zurück. Einer von vielen. Unschuldiges Opfer menschenverachtender Machtpolitik.

Chu-chu, unsere eritreische Begleiterin, kommentiert: „Das sind Kinder. Sie schicken Kinder in den Krieg!“