Die Einnahme von Massawa durch die EPLF

Mit der Besetzung des bislang von der äthiopischen Armee kontrollierten Hafens Massawa ist der eritreischen Befreiungsfront ein entscheidender Coup gegen die äthiopische Regierung gelungen / Die Zivilbevölkerung flüchtete während der Kämpfe und kehrt nun in eine zerstörte, von der EPLF eroberte Stadt zurück  ■  Aus Massawa/Eritrea H. Waldowski

Nach acht Stunden Nachtfahrt über staubige Pisten erreichen wir Massawa von Afabet aus. In der Nähe der Front fahren wir ohne Licht, also praktisch auf Gehör. In Massawa ist der Straßenrand von Leichen äthiopischer Soldaten gesäumt, und in der Stadt ist praktisch kein Haus unbeschädigt geblieben. Mit der Eroberung der Hafenstadt Massawa hat die eritreische Befreiungsorganisation EPLF einen entscheidenden Sieg errungen. Es ist nun wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis ganz Eritrea unter der Kontrolle der EPLF ist. Im Hochland sind nur noch zwei große Städte, Asmara und Keren, sowie eine Reihe kleinerer Garnisonen in der Hand der äthiopischen Regierung. Der Nachschub lief praktisch ausschließlich über Massawa, das macht die strategische Bedeutung dieses Sieges aus. Die Versorgung ist nun eigentlich nur noch auf dem Luftweg möglich.

Die Offensive der EPLF begann am Morgen des 8. Februar mit einem Angriff auf die Straße von Asmara nach Massawa. Die überraschten äthiopischen Soldaten leisteten kaum Widerstand, und die EPLF konnte fast ungehindert auf Massawa zustoßen. Am Abend wurde die äthiopische Armee, die sich in die auf Inseln liegende Innenstadt zurückgezogen hatte, mit heftigem Artilleriefeuer belegt. Am nächsten Tag griff die EPLF auch vom Wasser aus an, und am Mittag des dritten Tages war die Stadt völlig unter ihrer Kontrolle. 80 Panzer, zahlreiche schwere Geschütze, Stalinorgeln, kleinere Waffen und Munition fielen in ihre Hände. 12.000 bis 15.000 Regierungssoldaten sind gefallen oder gefangengenommen worden. Die EPLF macht über ihre Verluste keine Angaben.

Ein Brigadegeneral leistete auf Toalet, einer der beiden Inseln der Innenstadt, verzweifelten Widerstand. Er ließ die Zivilbevölkerung nicht abziehen. Die Versuche, ihn mit anderen gefangengenommenen Generälen zur Aufgabe zu überreden, schlugen fehl, und am 10. Februar wurde die Insel nach heftigen Kämpfen eingenommen. Viele Opfer unter der Zivilbevölkerung gehen auf diesen Angriff zurück.

Der äthiopische Staatschef Mengistu Haile Mariam reagierte wenige Tage später in ungewöhnlich deutlicher Sprache. Über Radio verbreitete er den Aufruf zur letzten Schlacht gegen die Rebellen im Norden. Wenn die Armee in Eritrea falle, sei die ganze äthiopische Armee geschlagen, und das geeinte Vaterland, für das Generationen von Äthiopiern gekämpft hätten, werde auseinanderfallen. Darauf folgte der unvermeidliche Appell, nun alle Kräfte für die Einheit der Nation und den Kampf gegen die „Banditen in den Bergen“ aufzubieten.

Nach der völligen Eroberung der Stadt durch die EPLF begann die äthiopische Luftwaffe Massawa zu bombardieren. Fünf Tage lang war vor allem die Innenstadt das Ziel von MiGs; was nicht durch die Artilleriegranaten beschädigt worden war, wurde von den Bomben in Schutt und Asche gelegt. Die Zivilbevölkerung war zum großen Teil zu Beginn der Kämpfe aus der Stadt in die umliegenden Hügel und Büsche geflohen, so daß die Luftangriffe kaum noch Todesopfer forderten. In diesen Tagen waren wohl auch kaum EPLF-Kämpfer in der Stadt, so daß sich noch einige versprengte äthiopische Soldaten in den Ruinen verstecken konnten, die sich zum Teil erst zehn oder zwölf Tage später ergaben.

Als das Bombardement nach dem fünften Tag aufgehört hatte, forderte die EPLF die Bevölkerung auf zurückzukehren. Am 18. und 19. Februar zogen sie dann mit den wenigen Habseligkeiten, die sie bei ihrer Flucht hatten mitnehmen können, zurück in die zum Teil noch brennende und mit Leichen übersäte Stadt. Mit Tankwagen wurde Wasser herangebracht und aus den Getreidelagern der internationalen Hungerhilfe wurde Weizen und Weizenmehl verteilt.

Einige Lagerhallen brennen noch, und die Reste von Milchpulver schwelen unter den geborstenen Dächern. Rauchschwaden ziehen durch die Straßen, und gelegentlich sind Schüsse zu hören. Unsere schwerbewaffneten Begleiter drängen zur Weiterfahrt, denn in Verstecken werden immer wieder äthiopische Soldaten entdeckt, die noch gefährlich werden könnten. Kurz nachdem wir im Hafengelände die brennenden Lagerhallen angesehen hatten, wurden dort vier Regierungssoldaten festgenommen.

Der Geruch verwesender Leichen liegt in der Luft. Die Toten konnten wegen der anhaltenden Luftangriffe bis jetzt nicht weggeräumt werden. Ausgebrannte Panzer und Lastwagen blockieren einige Straßen. Es muß ein erbitterter Straßenkampf von Haus zu Haus stattgefunden haben, überall Wracks von schweren Armeelastwagen, Schützenpanzern, dazwischen haufenweise zertrümmerte Munitionskisten. Dutzende von Panzergranaten liegen auf der Straße, scharfe Munition jeden Kalibers ist überall verstreut, doch kein Mensch achtet darauf.

An der nächsten Straßenecke, vor einem großen Kino, liegen Dutzende von leichten Sportschuhen herum. Hier wurden offensichtlich äthiopische Soldaten gefangengenommen; sie mußten ihre Schuhe ausziehen, damit sie nicht einfach wegrennen können.

Auf dem Weg zur außerhalb gelegenen Zementfabrik verstreut tote Äthiopier zwischen den Sandhügeln. Die Fabrik wurde von zwei Napalmbomben getroffen, die kaum Schaden anrichteten, aber der Volltreffer einer 500-Kilogramm-Bombe zerstörte ein Betonsilo.

Über uns zieht eine MiG eine große Kurve, wirft jedoch keine weiteren Bomben ab. Die EPLF ist mit ihren primitiven Luftabwehrgeschützen gegen die Angriffe praktisch machtlos und kann nur darauf spekulieren, daß die äthiopischen Maschinen mit Bomben und Treibstoff sparsam umgehen müssen, da der Nachschub nur sporadisch kommt.

Am nächsten Morgen werden die Einwohner der Stadt auf provisorischen Listen registriert, am Nachmittag gibt es dann Lebensmittelrationen aus den Lagern im Hafen. Die internationale Hungerhilfe wird hier auf unbürokratischem Weg direkt an die Bevölkerung weitergeleitet. „Donation to the People of Ethiopia“ steht auf den Säcken; damit fühlen sich die Eritreer zwar nicht direkt angesprochen, doch 80 Prozent der Einwohner Massawas sind ohnehin keine Eritreer, sondern Äthiopier. Der Rest des Getreides im Hafen, der nicht den äthiopischen Bomben zum Opfer gefallen ist, wird wohl den gleichen Weg gehen, wenn nicht noch mehr Kämpfe oder Luftangriffe die Lager zerstören. Auf dem Rückweg in den Sudan werden wir im Zentralkrankenhaus der EPLF zu den Opfern äthiopischer Napalmangriffe gebracht. Von den 20 Patienten haben zwei mit ihren großflächigen Verbrennungen wohl kaum Chancen zum Überleben.