: Rot-Grün in Berlin: Es kracht im Gebälk
Fraktionsvorsitzende der Berliner Alternativen Liste, Heide Bischoff-Pflanz, wirft auf Mitgliederversammlung das Handtuch / Beratung über rot-grüne Koalition im Mai / Kritik an Sozialdemokratisierung der Stadtpolitik / ParteifreundInnen überrascht und verärgert ■ Von CC Malzahn und A.Böhm
Berlin (taz) - Die AL-Fraktionsvorsitzende Heide Bischoff -Pflanz kehrt dem Parlament den Rücken, die Parteibasis stellt eine Fortführung der rot-grünen Koalition „ernsthaft in Frage“: Das sind die Ergebnisse der Mitgliedervollversammlung der Alternativen Liste vom Samstag in Berlin. Die Rücktrittsentscheidung der AL -Spitzenpolitikerin war eine spontane Reaktion auf die fruchtlose Debatte um den Kita-Streik. Bei ihr sei der Eindruck entstanden, daß „wieder mal zur Tagesordnung übergegangen werden sollte“, ohne konkrete Konsequenzen für die AL in der Koalition mit der SPD zu diskutieren, so die Fraktionschefin.
Über zehn Wochen lang hatten über 4.000 Angestellte der städtischen Kindertagesstätten die Arbeit niedergelegt und für einen auf Berlin begrenzten Zusatztarifvertrag gestritten. Der Arbeitskampf, der ab Mittwoch ausgesetzt werden soll, scheiterte vor allem am beinharten Widerstand des SPD-geführten Senats, der nicht zu Tarifverhandlungen bereit war.
Die AL hatte solche Verhandlungen über einen Tarifvertrag Anfang März zu einem Essential der Koalition gemacht. Trotzdem wollte der Regierende Bürgermeister Momper den Konflikt weiter aussitzen. Die Stimmung geriet Mitte vergangener Woche auf den Nullpunkt, als der Senat gegen die Bedenken der AL-Senatorinnen beschloß, den Streikbruch zu finanzieren: Eltern, die Kinder in Kitas betreuen wollten, sollten 14 Mark pro Stunde vom Staat erhalten.
Eine Aktion, die nicht einmal die CDU gewagt hatte, als sie noch an der Regierung war. Fortsetzung auf Seite 2
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„Ich hoffe, daß mein Rücktritt auch in Richtung SPD ein Signal ist, daß man so mit der AL nicht umgehen kann“, erklärte Bischoff-Pflanz gestern der taz. Die vor zwei Wochen in ihrem Amt bestätigte Fraktionsvorsitzende begründete ihren Rücktritt auch mit der „14-Mark -Geschichte“. Das sei die „Krönung einer langen Entwicklung und einer Reihe von Konflikten“ gewesen, in deren Verlauf die AL-Senatorinnen von der SPD „nur noch überstimmt“ worden seien. „Nun ist ein Punkt erreicht, wo gesagt werden muß: So geht es nicht mehr weiter.“ Als weiteren Grund für ihre Mandatsniederlegung nannte Bischoff-Pflanz, die auch als ausländerpolitische Sprecherin ihrer Fraktion fungierte, das „Scheitern der Flüchtlingspolitik“ in Berlin. Zwar habe man auf diesem Gebiet schon einiges erreicht, die „Sozialdemokratisierung der Politik in diesem Feld“ aber nicht verhindert.
Bischoff-Pflanz kritisiert gegenüber der taz auch ihre eigene Partei. Die AL sei mit ihren gegenwärtigen Strukturen, gerade angesichts der rasanten politischen Entwicklung, „völlig überfordert“. In der Vergangenheit hatte sich die AL oft selbst in ein politisches Dilemma manövriert, indem die Basis auf Vollversammlungen ihre Parlamentsfraktion mit Maximalforderungen auf die Koalitionsbank zurückschickte, ohne den Abgeordneten gleichzeitig zu sagen, wo die „Sollbruchstelle“ liegt. Die FraktionskollegInnen waren von dem Schritt ihrer Chefin, die als Vermittlerin zwischen Berliner Fundis und Realos galt, überrascht und teilweise sichtlich verärgert. Die Reaktionen reichten von „subjektiv verständlich, aber politisch falsch“ bis zu „absolut verantwortungslos“. Im Mai wollen die AL -Mitglieder nach einer politischen Bestandsaufnahme darüber entscheiden, ob die vor rund einem Jahr gebildete Koalition fortgeführt werden soll.
Gerüchten über eine „Koalitionsmüdigkeit“ der SPD traten Innense
nator Erich Pätzold und mehrere sozialdemokratische Abgeordnete auf Anfrage entschieden entgegen. Auf die Drohung der AL, die Koalition möglicherweise im Mai platzen zu lassen, reagierte der Innensenator mit lobenden Worten über den „fairen und menschlich angenehmen“ Koalitionspartner. „Es gibt kein Abrücken von der AL“, beteuerte Pätzold, „und kein Hin zur CDU.“ Pätzold hatte als zuständiger Senator neben Momper die kompromißlose Haltung der SPD in Sachen Kita-Streik vertreten. Harry Ristock, Ex -Bausenator und Oberster Fähnleinführer der grauen Eminenzen der Berliner SPD, zur taz: „Heidi irrt sich, wenn sie glaubt, die AL hätte bisher nichts erreicht.“
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