GIFTGRÜNE OHRWÜRMER

■ The Residents in der Hochschule der Künste

Sie stecken in schwarzen Overalls mit eingearbeiteten Kopfteilen. Anstatt der Augen sieht man zwei weiße Leuchtpunkte, die wie kleine Taschenlampen in den dunklen Zuschauerraum strahlen. Manche von ihnen tragen Cowboyhüte aus Pappmache in Übergrößen. Sie tanzen unbeholfen um ein Lagerfeuer aus roten elektrischen Glühstäben, während hinter ihnen eine Mondsichel den blauen Leinwandhimmel erleuchtet. Wenn ihnen eine Frau mit giftgrünem Leuchthaar und orange fluoreszierendem Lippenstift begegnet, kreisen sie mit den Hüften hinterher. Sie sind Amerikaner und nennen sich Residents.

Erzählen wollen sie uns die Geschichte der amerikanischen Musik in „3E-Z Pieces“. Alles beginnt, wie bei jedem amerikanischen Mythos, mit Trappern in der einsamen Prärie. Und was hört der lonesome Cowboy auf seinem Walkman zu Pferde? Country & Western natürlich. Genau den drehen die drei anderen Residenten, die nicht damit beschäftigt sind, breitbeinig über die Bühne zu stapfen, sondern hinter ihren Keyboards und Monitoren stehen, durch den Synthiewolf. Countryfragmente quellen als dumpfer Rhythmus hervor, synthetische Ohrwürmer krabbeln durchs Gehör, so als wollten sie penetrant fragen: Kennen wir uns nicht irgendwoher, haben wir uns nicht auf irgendeiner Party schon einmal gesehen? Johnny Cash geistert durch die Finsternis, aber man kann den Schuldigen nicht mehr dingfest machen, nachdem er sich einmal im Computerlabyrinth der Residents verlaufen hat. Jede musikalische Individualität der Opfer verschwindet. Genosse Pop zeigt sein Gesicht von der häßlichsten Seite. Und die maskierten Residents rufen uns stolzgeschwellt zu: Seht her, allen haben wir die Masken heruntergerissen!

Die Residents spielen mit Symbolen, eine simple Wäschespinne wird zum lamettabehängten Weihnachtsbaum, die amerikanische Freiheitsstatue zum gekreuzigten Riesen in schwarzer Ku-Klux-Clan-Kluft. Alles ist verfügbar und wird vom Publikum, begeistert über sich selbst klatschend, beliebig dechiffriert. Man meint einem kultischen Ritus beizuwohnen, wenn die seit zwanzig Jahren im Verborgenen agierenden Residents aus Pop Kunst formen. Nicht unbescheiden verweisen sie auf ihre Repräsentanz im New Yorker Museum of Modern Arts mit einem der „ersten Musikvideos überhaupt“. Die Andy-Warholisierung der ehemaligen Avantgarde findet ihren vorläufigen, aber feierlichen Höhepunkt.

Ihnen sei es schon immer darum gegangen, Musik aufzunehmen und nicht zu spielen, behaupten die Residents. Deshalb kümmern sie sich im zweiten Teil ihrer Bühnenshow um den Musiker, den alle Amerikaner ihrer Generation mit der Muttermilch „aufgenommen“ haben: King Elvis. Am vorderen Bühnenrand haben sie ein Wohnzimmer mit Stehlampe und Ledersessel postiert. Auf dessen Armlehnen sitzen zwei Sprechpuppen, denen Papa Resident später erklären wird, warum der King ein King wurde und welches Königreich er denn wohl besessen habe. Oder, so fragen die Muppets, ob er vielleicht ein King of Pizza gewesen sei? Wenn der Vater die bohrenden Fragen nicht mehr klar zu beantworten weiß, verläßt er die Kinder, die Stehlampe verlischt, und er mutiert zum King persönlich.

„Don't Be Cruel“, brüllt er unter seiner schwarz-weiß gestreiften Zebra-Kluft, wackelt mit dem Riesenturban aus Klebeband und animiert seine, natürlich maskierten, Tänzerinnen, ihre im Schwarzlicht knallorange leuchtenden Überärsche und -brüste herzuzeigen. Alles aus Plastik. „Little Sister Don't You“, schluchzt Papi sich durch die Königshistorie schleppend. Doch dann muß er zurück ins wohnliche Heim, die Kinder wollen erfahren, wie es denn nun weiterging, das Märchen vom König des Hüftschwungs. Zum traurigen Ende wird's noch einmal theatralisch.

Um ihn ordentlich fett zu kriegen, hängen die Damen dem King einen feisten Leuchtstoffbauch um, er wird immer ungelenker, zappelt und ächzt sich mit letzter Kraft zum „Love Me Tender“, bekommt keine Luft mehr und - stirbt. Die Kinder sind traurig, das Publikum froh, die Residents haben drei Vorhänge.

Andreas Becker