MIT UNHEILIGEM ERNST

■ Brecht für Städtebewohner im Grips-Theater

Das, meinten wir, kennen wir doch aus Lesebüchern, Probebühnen und aus den Berliner Feuilletons: oh Haßliebe zu den großen Städten, oh bitterschöne Romantik ruinöser Metropolen, verliebte graue Klage des armen Bebe, ich Bertolt Brecht, ich, im Dickicht der Städte, wo die rosagraue Unterhose einer echten Nutte mit einem falschen Holzbein in einem Hinterhof hängt, durch den Wind zieht, der rußiger Staub ist, und ich kam in die Städte zu den Zeiten der Unordnung, wirklich, ich lebe in finsteren Zeiten, und die Straßen führten in den Sumpf zu meiner Zeit!

Aber, Gott sei Dank, nichts davon, sondern: „Laßt eure Hoffnungen fahren / Daß ihr zu Präsidenten ausersehen seid. / Aber legt euch ordentlich ins Zeug / Ihr müßt euch ganz anders zusammennehmen / Daß man euch in der Küche duldet. / Ihr müßt das Abc noch lernen. / Das Abc heißt: / Man w i r d m i t e u c h f e r t i g werden.“ Dies ein Hinweis von denen, die schon da sind, an jene, die noch kommen.

Das Brecht-Programm „für Städtebewohner“ (und selbstverständlich auch für solche, die es nicht zu sein meinen, denn wer könnte heute schon noch mit Bestimmtheit sagen, wer oder was ein Städtebewohner sei?), eine Zusammenstellung aus vielfach unbekannten Texten und Liedern aus dem Lesebuch für Städter, aus Gedichtsammlungen und Theaterstücken der Jahre 1919-1934, läßt gerade jene Texte vermissen, die uns in der Regel als Nachgeborene zu beuteln drohen. Ganz im Gegenteil verschwindet an diesem Abend der arme Bebe ganz hinter seinen Texten und gerät über deren Darbietung in angenehme Vergessenheit. Die Städtebewohner selbst (hier dargestellt von Tine Seebohm und Andreas Debatin) nehmen die Texte in die Hand und in den Mund, um damit zu tun oder zu lassen, was sie wollen. Keine Brechtsche Nummernrevue, Schluß mit der Darbietungsform Brechtscher Knüppelverse, da der lyrische Zeigefinger das Publikum niederstreckt, die Texte werden statt dessen in Szenen gesetzt, dramatisiert, banalisiert, gesungen und verlieren so, nicht zuletzt durch solides rezitativisches Können, ihre biblische Schwere.

„Ihr Ausgegabelten aus den Sardinenbüchsen / (...) Triefend vom Öl des Zuspruchs und des Trostes / Der euch frisch hält, etwas flachgedrückt / (...)“ Zwei Ausgegabelte auf der Bühne, eine Frau und ein Mann, ein Paar? Ein Liebespaar gar? Tut nichts zur Sache, wer weiß schon, was Städtebewohner heutzutage noch verbindet, die Liebe sicher nicht, auch wenn die Frau einen geschlitzten schwarzen Unterrock tragen muß (zwanghaftes Inventar von Brecht-Programmen, ansonsten dankenswerterweise völlige Abwesenheit von Liebeslyrik Brechtscher Manier), er hingegen trägt tretschwere Cowboystiefel und breite Hosenträger zum laut damit Schnalzen in einem Wohnzimmer (kleinbürgerlich?) mit Kofferradio, Bierdosen und einem E-Piano, behängt mit amerikanischen Glimmerketten, das Tine Seebohm gut zu spielen versteht, während Andreas Debatin eine E-Gitarre betätigt. Dazu Gesang und ein Akkordeon, eingesetzt zum Zweck einer neuen und zum Teil sehr witzigen Darbietung einiger Lieder Brechts (musikalische Einrichtung: A. Debatin), die uns von Weill und Eisler erlösen und die Zeit verkürzen, wenn die Texte allzulang zu werden drohen. Wo und wer die beiden sein sollen? In erster Linie zwei ohne fest zu bestimmenden Standort mit einem festen, klaren Programm, das mit langem Atem vorgetragen wird. Der Rest sei der freien Interpretation überlassen wie auch der anknipsbare Leuchtglobus auf dem Fußboden, der uns helfen soll, von fernen amerikanischen Städten zu träumen.

Kein Zweifel, die Sardinen wollen ihre Büchse verlassen, ein hoffnungsloses Unternehmen allerdings in einer Stadt, die wie Sodom und Gomorrha („und ganz wie London und Berlin“) „unbewohnbar und doch unverlaßbar“ bleibt. „Oh show us the way to the next little Dollar“, singen beide in fröhlicher Eintracht, um dann in unmißverständlicher Deutlichkeit zu wiederholen, was die Städtebewohner wirklich verbindet: „Geld müssen Sie eben haben / Ich frage nicht, wo Sie es hernehmen / (...)“ Eine allzu bekannte Botschaft an die frischgebackene neue deutsche Siegerfrohnatur, wendig und fleißig vom neuen Aufbaufieber ihrer neuen Stadt erfaßt. Aber der Dresdner Regisseur Carsten Ludwig verzichtet hier völlig auf den zeitgenösselnden Zeigefinger und läßt statt dessen lieber vom verschollenen „Ruhm der Riesenstadt New York“ erzählen, ein Text, der ganze Arbeit leistet: „Welch eine Zuversicht! Was für ein Ansporn! / Diese Maschinenhallen: die größten der Welt! / Zeugungspropaganda betrieben die Autofabriken: sie / bauten schon Autos (auf Abzahlung) / für die Ungeborenen! (...)“ Man macht die Städtebewohner glauben, „ihre Stadt sei auf Felsgrund gebaut und also unzerstörbar“, und wer da trotzdem glaubt, sich der produktiven Eigendynamik der Stadt entziehen zu können, wird eines Besseren belehrt: „Welche Zuversicht! Selbst die Toten / wurden geschminkt (...) nicht einmal / Den Entronnenen wurde Hoffnungslosigkeit gestattet!“ Ja, welch ein Ruhm, welch ein Jahrhundert, und dies ist das Ende der Geschichte: dieses Jahrhundert dauerte „nur knappe acht Jahre“!

Da gehen allerlei Menschlein durch die Szenen, aber selten haben sie ein eigenes Gesicht. Verbindlich weiß man von ihnen nur: „Ihre Heiterkeit (...) ist unaufhaltsam / Wenn sie ein Stück Fleisch in einer Auslage sehen / (...)“ Sind das die, deren Kinder sie eines schönen Abends erstechen, um sie dann für Tage in größeren Schränken aufzubewahren, oder jene, denen die „Stunde zwischen Nacht und Morgen“ gefährlich wird, weil sie verführt, „das unerträgliche“ Leben wegzuschmeißen, oder die „etlichen“, die die Städte verlassen, um „aus den gleichen Fenstern Gesichter und Wäsche (zu hängen) wie ehedem“? Ein Abend, nicht ganz frei also von städtischer Nostalgie, aber gewiß nicht, wie uns das hübsche Text- und Programmbüchlein (vor Ort erhältlich für DM 5,-) ein bißchen glauben machen möchte, ein Abend zur Stärkung des Glaubens an die „Soziale Intelligenz der sogenannten kleinen Leute“ mit ihrer doch „nicht zu brechenden Lebenskraft“. Denn: „Hätten Sie die Zeitungen aufmerksam gelesen wie ich / Würden Sie Ihre Hoffnungen begraben, daß / Eine Besserung noch möglich ist./“

Eher also etwas für Leute mit dem Galgenhumor einer Kellerassel, „die geriet in ein Schlamassel / Der Keller, in dem sie asselte / Brach eines schönen Tages ein / So daß das ganze Haus aus Stein / Ihr auf das Köpfchen prasselte. / Sie soll religiös geworden sein.“

F. Hoppe

Brecht für Städtebewohner, Theater Forum Köln. Zu sehen in der Probebühne des Grips-Theaters. Weitere Vorstellungen vom 27.3.-31.3.