Dialektik von Recht und Gerechtigkeit

■ Die ARD-Reihe „Prozesse der Weltgeschichte“ behandelt den Prozeß des Galileo Galilei, 23 Uhr

Ich muß dankbar sein, wenn ich einen 23-Uhr-Termin erhalte“, seufzt WDR-Kulturredakteur Werner Koch auf die Frage, warum denn die neue Reihe Prozesse der Weltgeschichte erst zu nachtschlafender Zeit ausgestrahlt wird. Aber inzwischen ist ein später Sendeplatz ja schon fast eine Empfehlung...

Vier geschichtlich bedeutende Fälle werden vom WDR aufgerollt - die Prozesse gegen Galileo Galilei, gegen Jesus Christus, gegen Han Hus und gegen Johanna von Orleans. Sie haben, so Koch, „mit ihrem Denken, ihren religiösen Vorstellungen die Nachwelt nicht nur beeinflußt, sondern auch verändert“. Seit langem wird in jedem dieser Fälle das, was damals zumindest formal Recht war, als schreiendes Unrecht angesehen. Diese Dialektik von Recht und Gerechtigkeit ist ein Leitmotiv der Prozesse der Weltgeschichte.

Im Falle des Prozesses gegen Galileo Galilei, der ersten Folge dieser Reihe, kommt der Wahnsinn des Inquisitionsverfahrens gegen den Wissenschaftler, der Eifer des Klerus, der Druck, der auf Galilei ausgeübt wird, und sein listiges Taktieren so gut rüber, daß die Aktualität dieses historischen Vorgangs deutlich wird. So mußte der Film denn auch in Rom mit List und Tücke gedreht werden. Die Türen zu den kirchlichen Würdenträgern wurden nur zögerlich geöffnet. Regisseur Ivo Bernabo Micheli: „Wir haben deshalb nicht das fertige Drehbuch vorgelegt, sondern erzählt, daß wir einen offenen Film machen, der sich von Tag zu Tag entwickelt, je nach unseren Ergebnissen.“ Immerhin: Mit Josef Kardinal Ratzinger konnte Mario Adorf in seiner Rolle als Rechercheur in Rom sprechen und mit einem Mitglied der Arbeitsgruppe, die sich im Auftrag von Papst Johannes Paul II. mit dem Fall Galilei befaßt. Leichter war es schon, Carl -Friedrich von Weizsäcker zu interviewen, der eine Parallele zieht vom politischen Totalitarismus der Kirche zum wissenschaftlichen Totalitarismus, der mit Galilei seinen Anfang genommen habe. Weizsäcker: „Die Wissenschaft gibt uns eine phantastische Macht - und wir mißbrauchen sie. Der Wissenschaftler muß sich ohne Zögern dafür einsetzen, daß seine Wissenschaft dem Guten dient.“

Der Film selbst ist keine alleinige Rekonstruktion des Prozesses gegen Galilei. Er spielt in der heutigen Zeit. Ein Filmemacher (Mario Adorf) sichtet in Rom gemeinsam mit seiner Mitarbeiterin (Valentina Emmeri) die Prozeßakten. In den historischen Teilen spielt Adorf auch den Galilei, der 1632 vor die Inquisition zitiert wird, weil in seiner Schrift Dialog über die beiden hauptsächlichsten Weltsysteme, das ptolemäische und das kopernikanische, seine Parteinahme für Kopernikus deutlich wurde. Ende 1633 wird Galilei - nachdem er „abgeschworen, verflucht und verdammt“ hatte - zu unbefristetem Hausarrest verurteilt.

Gut gelöst in dieser Produktion: die Verschränkung der zwei Zeitebenen. Durch die Recherchearbeiten werden Einblicke in die Welt der frühen Neuzeit gegeben und Interpretationsmöglichkeiten für die Handlungen Galileis angeboten. Im geschichtlichen Teil wird das illustriert und mit den authentischen Texten untermauert. Spannend die dazwischengeschalteten Interviews, die die Brisanz des Prozesses von vor 350 Jahren erst richtig deutlich machen. Die katholische Kirche, nun, sie bewegt sich immer noch nicht. Das Weitestgehende, das Kardinal Ratzinger sich im Falle Galilei vorstellen kann, ist „ein vernünftiges Verhältnis“ - eine Rehabilitierung steht nicht zur Debatte.

Nun kann es einem denkbar egal sein, wie der Vatikan zu Galilei steht, die Geschichte, die Wissenschaft hat ihn inzwischen ja längst rehabilitiert.

In Brechts Galilei findet sich der Satz, der auch im Film von Mario Adorf zitiert wird: „Wo der Glaube tausend Jahre gesessen hat, da sitzt jetzt der Zweifel.“ Leider immer noch bei viel zu wenig Menschen.

Mit Der Prozeß Jesu am 10. April, Der Prozeß Jan Hus am 8. Mai und Der Prozeß Johanna von Orleans am 12. Juni, jeweils um 23 Uhr, wird die Reihe fortgesetzt.

Manfred Kellner