Der Skandal: Das Telefon-Foul am Kanzler

Die Düsseldorfer EG wird durch ein triumphales 8:2 gegen den SB Rosenheim nach 15 Jahren wieder Eishockey-Champion  ■  Vom Meistereis Bernd Müllender

Düsseldorf (taz) - Unter den Tribünenbänken haben sie ein reiches Stilleben vom leeren Sektflaschen hinterlassen Güteklasse: Mumm aufwärts. Auf dem Eis absolvieren zwei Dutzend verschwitzter und strahlender Jungs, manche bis auf die massigen Korsetts entblößt, von einer gelb-roten brodelnden Menge umringt, die unvermeidliche Ehrenrunde („Das Schaulaufen der Meister“ - Fan-Definition).

Währenddessen geht es im VIP-Raum, beim Stelldichein der engsten Vereinsfreunde, längst dezenter zu. Da umarmen sich gestandene Männer der Düsseldorfer Geschäftswelt so spontan sie nur können, mit dem festen Vorsatz, echte Freude auszudrücken - die Lodenjoppe haucht dem Pelzmantel seinen „herzlichsten Glückwunsch“ ins Ohr, das edle Seidenhemd drückt dem aufrechten Herrn im knöcheltiefen Leder-Outfit gar eine Kußandeutung auf die Advokatenwange. „Günter, wir haben es geschafft.“

Die Herren lassen ihre Siegelringe blinken, und die Damen mit den ondulierten Mähnen das üppige Goldgeschmeide, wenn sie sich bei ihren Mackern und Machern der Unter(nehmer)welt einhaken. Selbst die Altbiergläser haben hier einen Goldrand, „der Rainer“ übermittelt telefonisch seine Aufwartung aus Paris, und ein Verantwortlicher des japanischen Hauptsponsors verteilt an alle, immerwährend mild lächelnd, die vorgefertigten türkisen Aufkleber „DEG, Deutscher Eishockey-Meister 1990“. „Ganz neu“, sagt er zufrieden, und alle kleben sich das schnöde Plastikmal auf Hemd und Bluse.

Einer paßt so gar nicht in diese eisigen erlauchten Zirkel. Klatschnaß ist er überall vom Sektbad, verklebtes Hemd und ganz außer Atem: Peter Hejma, der Trainer, der sportliche Meistermacher hinter der Bande. Die Falten, die sein lustiges Gesicht sonst wie ein Spinnennetz zergliedern, scheinen wie glattgestrichen von seiner echten Freude, vom Ende aller Anspannung, vom erlösten Lächeln. Der sympatische Tscheche genießt die Zuneigung, für Wehmut keine Gedanke, denn mit der Schlußsirene ist sein Amt auch beendet.

Es dauerte nur 13 Spiele, (da löste er als Assistenz-Coach den ungeliebten Peter Johansson ab). Seine mutigste und erfolgreichste Tat war es, den Kapitän Roy Roedger aus dem Team zu nehmen (Matthäus heißt Ihrer, Herr Beckenbauer!). Jetzt will Hejma wieder, „endlich“, für die Familie da sein und seinem Beruf als Ingenieur bei den Stadtwerken nachgehen, und der neue Trainer - Hans Zach - ist schon verpflichtet. Aber in diesen Minuten sieht dem Interimstrainer jede/r an: Dieser Mann ist glücklich.

Dramatisch wie selten war es in den ersten vier Endspielen zugegangen, schon am Freitag abend in Rosenheim sah die DEG wie der neue Meister aus und ließ sich in den Minuten 57 und 58 noch das Heft aus der Hand nehmen. Schon im ersten Spiel hatten die Rosenheimer in den zwei letzten Minuten das Match gekippt. Alle erwarteten beim fünften Finalspiel, eilige 38 Stunden nach dem letzten, ähnliche Aufregung.

Doch dann, spätestens gegen Ende des ersten Drittel schon, waren die Fans fassungslos, daß sie sich für Minuten auf keinen einheitlichen Gesang einigen konnten. 5:0, fünf Tore in gut zwölf Minuten, eines traumwandlerischer herausgespielt als das andere, und das gegen diesen sonst so nervend grandiosen Karl Friesen im Bayern-Kästchen, der am Sonntag aber meist da stand, wo der Puck nicht hinflog.

Da beharken und bekämpfen, checken und prügeln sich die gepanzerten Gesellen seit September in 46 Spielen, auch nach vier Endspielen steht es unentscheiden, und dann ist alles so schnell gelaufen. Es waren die erregendsten Momente: Die erwartungsfrohen Massen, paralysiert vom unfaßbaren Geschehen, das ihre kühnsten Träume übertraf.

Erst in der Pause fanden die Chöre ihre gemeinsame Zunge wieder und wollten gar nicht aufhören, als es nach 40 Minuten gar 8:0 stand. Karl Friesen, den alle wegen seiner Klasse hassen wie bewundern, ließ einen Kasper-Schlagschuß gar durch die Beine sausen, da erschallte es in tausendfacher Häme „Hoppe, Hoppe, hahaha“ - Matthias Hoppe ist der gern gesehene Torwart vom ERC Schwenningen, bei dem im Halbfinale fast jeder Schuß ein Treffer gewesen war: 25 Stück in zwei Heimspielen.

Das Restgeschehen auf dem Weg zum ersten Titel nach 15 langen Jahren interessierte im Kollektivrausch kaum mehr. „Zugabe, Zugabe“ erwartete man ausdrücklich nur noch von jenem Mann, der da per Lautsprecher ins Hospital gerufen worde, weil er gerade Vater von Drillingen geworden war. Eine komplette Sturmreihe, und das genau in den Stunden des Triumphes.

Am Sonntag paßte am Brehmplatz eben alles, und die gestrige Riesenfeier auf dem Rathausplatz gilt in der Narrenstadt als Ersatzdroge für den dieses Jahr auf so tragische Weise ausgefallenen Rosenmontagszug.

Die Meisterschaft war das Plansoll des reichen Clubs der Reichen, ermöglicht durch die Millionen des Präsidenten Josef Klüh, der zu Saisonbeginn mit den Truntschka-Brüdern, Willmann und dem neuen Liga-Schützenkönig Didi Hegen (48 Treffer) lauter Nationalspieler eingekauft hatte.

Und so war alle überschäumende Begeisterung nicht so ausgelassen, nicht so spontan und überwältigt wie jene aus dem Halbfinale des Vorjahres, als die DEG sensationell den Erzrivalen aus Köln, die hochfavorisierten wie ungeliebten „Haie“ mit 3:1-Siegen ertränkt hatte.

„Gib Köln keine Chance“, eine Parodie auf die geläufige Aids-Warnung, ist seitdem der beliebteste Aufnäher.

Und so war es denn auch, neben den leicht gemäßigt tobenden ClubfreundInnen auf den Stehrängen, der Präsident selbst, der im Kreise seiner VIP-Freundesschar der am wenigsten ausgelassene Mann. Geradezu ernst schaute er drein, mit unstetem Blick, der glatte Macher der DEG, wahrscheinlich in diesen Minuten schon ahnend, daß die Titelverteidigung das selbstverständliche Minimum für das nächste Jahr sein wird, gleichzeitig aber auch das Maximum des Erreichbaren. Kein großer Spielraum, trotz aller Millionen.

Freudiger, ja nachgerade champagnerselig, schaute dagegen Hans „Hansi“ Sültenfuß, der selbstherrliche „Organisationsleiter“ des Meisters (siehe taz vom 22.3.), in die erlauchte Runde. Seine Schergen hatten es fahrlässig versäumt, dem unerwünschten taz-Schreiber den Zugang ins Allerheiligste des Eistempels freizuchecken, und darum kann dieser mit der meisterlichen Anekdote die Saison 89/90 beenden: Das Telefon klingelt: „Hansi, für Dich.“ - „Wer denn?“ - „Der Bundeskanzler.“ - „Der soll warten, jetzt wird hier gefeiert.“

Bei der Düsseldorfer EG - hipp, hipp, hurra - kommt halt nicht jeder durch.