Aufrüsten im Schatten der Supermächte

Die Vernichtungspotentiale in Ost und West schrumpfen, doch in der arabischen Welt und in Israel wird mit Worten und Werken aufgerüstet / Westliche Politiker monieren die sowjetischen Waffenexporte in die Region und verschweigen die eigenen Lieferungen  ■  Von Walter Saller

Berlin (taz) - Während die Supermächte ihre Kriegsarsenale verringern, die wechselseitigen Feindbilder von Nato und Warschauer Pakt aufweichen und militärische Defensive und politischer Dialog zu neuen Ehren gelangen, ist von dieser veränderten politischen Großwetterlage im Nahen Osten nur wenig zu spüren: Kürzlich kamen mehr als 50 hochrangige Militärs aus 16 arabischen Staaten sowie dem Iran in Abu Dhabi zusammen, um über eine gemeinsame Verteidigungsstrategie zu beraten. Auch die PLO zählte zu den geladenen Gästen. Die Teilnahme des Iran mutete dabei merkwürdig an. Denn somit verhandelten die beiden ehemaligen Kriegsgegner Irak und Iran - noch ehe sie sich überhaupt auf einen Friedensvertrag einigen mochten, de facto über ein mögliches Militärbündnis.

Die von der Arabischen Liga organisierte Konferenz kam denn auch schnell zur Sache und stellte fest, daß es um die arabische Sicherheit schlecht bestellt sei. Der Widerspruch zwischen vermeintlicher und tatsächlicher arabischer Militärschlagkraft sei unübersehbar, lautete das nüchterne Fazit. Es gelte daher, die arabischen Militärkräfte zu stärken, die interarabische Zusammenarbeit zu verbessern und so gemeinsam allen militärischen Bedrohungen zu trotzen. Im Fadenkreuz der mehr als 50 Konferenzteilnehmer stand dabei Israel, das als „größte Gefahr“ für die arabischen Staaten gilt.

Die Schlüsselrolle bei Bildung einer gesamtarabischen Verteidigungsfront kommt dabei dem Irak zu, der sich bei einer Gesamtbevölkerung von nur 16 Millionen Menschen ein stehendes Heer von mehr als einer Million Soldaten leistet. Zum einen gilt die irakische Luftwaffe, das Hätschelkind von Staatschef Saddam Hussein, heute als die schlagkräftigste und erfahrenste der arabischen Welt. Und zum anderen ist das Land neben Ägypten der einzige arabische Staat, der über eine eigenständige Rüstungsproduktion und die dafür nötigen Finanzmittel verfügt. Denn längst ist der Irak - nach Saudi -Arabien - wieder zweitgrößter Erdölexporteur des Nahen Ostens. Erst im vergangenen Dezember gelang dem Land der Start eines Satelliten-Trägersystems. Nach US-Angaben ist der Irak gar drauf und dran, eine Fabrik für die Gewinnung von Atombomben-Uran aufzubauen. Ebenso soll das Land dank westlicher Hilfe über Mittelstreckenraketen - wahlweise bestückbar mit Giftgas oder atomaren Sprengköpfen verfügen. Sowohl Ziele in der Sowjetunion wie auch in Israel und im Iran sollen damit erreichbar sein. Bagdader Behörden mochten sich gerade noch zu dem Hinweis aufraffen, daß das Satellitenprogramm rein ziviler Natur sei. Jede weitergehende Auskunft zum Thema der irakischen Aufrüstung verweigern sie jedoch hartnäckig. Vor allem Israel zeigt sich höchst beunruhigt über solcherlei Rüstungsanstrengungen der arabischen Nachbarn. Noch immer befürchtet man einen irakischen Vergeltungsschlag für die im Sommer 1981 von einem israelischen Spezialkommando durchgeführte Sprengung des einzigen irakischen Atomreaktors. Und auch die Ankündigung der Aufstellung einer gemeinsamen jordanisch -irakischen Flugstaffel - sie soll auf französischen „Mirage 2000“ ausgebildet werden - schürt die israelischen Bedrohungsängste. Solche Ängste plagen indes auch den jordanischen Monarchen Hussein. Er sieht sich und sein Land

-und das in dieser Reihenfolge - bedroht durch die sowjetisch-jüdische Masseneinwanderung nach Israel, die zu einem Exodus von Palästinensern nach Jordanien führen könnte. Manche Nahost-Experten sehen in dieser Problematik bereits den Samen eines möglichen neuen Krieges zwischen Jordanien und Israel.

Auch Alfred Biehle, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, der gerade eine Woche in Israel weilte, äußerte sich zu den israelischen Bedrohungsängsten: „Wegen der andauernden sowjetischen Waffenlieferungen in diese Region ist die Bundesrepublik bereit, Israel militärische Hilfe zu gewähren.“ Von US -Panzern für Ägypten und amerikanischen Computern zur Präzisionssteuerung irakischer Raketen, von deutschen U -Booten für Saudi-Arabien und französischen Mirage -Flugzeugen für Jordanien ließ Herr Biehle indes wohlweislich nichts verlauten.