Perus Wahlkampf-Finale begleitet von Terror

Schlußphase in dem krisengeschüttelten Andenstaat mit Autobomben eingeläutet / Kandidaten aller Parteien Opfer von Attentaten / Notstand über die Hauptstadt Lima verhängt / Maoistische Guerilla „Sendero Luminoso“ kündigt bewaffneten Generalstreik für Mittwoch an  ■  Aus Lima Nina Boschmann

„Es ist so ruhig hier im Moment. Das kann nicht mehr lange dauern“, wunderten sich noch vor kurzem alteingesessene Kenner der Verhältnisse in der peruanischen Hauptstadt Lima. Schließlich befindet man sich knapp zwei Wochen vor den allgemeinen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, und außer beunruhigenden Gerüchten ist noch nichts vorgefallen.

Die Unkenrufer behielten recht. Mit der Ruhe ist es nun vorbei. Seit Mitte vergangener Woche werden jeden Tag mehrere Kandidaten für das Abgeordnetenhaus erschossen, Autobomben sorgen in Lima für Angst und Schrecken. Mal wieder herrscht auch seit Freitag Notstand und Mobilmachung in der Hauptstadt, vorerst auf 30 Tage begrenzt. Die Attentate sind nicht kalkulierbar, die Opfer nicht vorgewarnt. Alle Parteien sind betroffen. So wurde am Freitag morgen der konservative Oppositionspolitiker Jose Galvez vor seinem Haus im Arbeiterviertel Comas von Unbekannten erschossen: ein aus dem Hochland zugewanderter Lehrer, zuletzt Rektor der örtlichen Sekundarschule; ein Konservativer, aber allgemein beliebt.

Am Vortag traf es den Kandidaten der regierenden APRA -Partei im Hochlanddepartement Junin, Jose Dhaga. Der 39jährige Agraringenieur hatte - völlig atypisch für die beamteten Vertreter seines Berufsstandes - immer wieder das direkte Gespräch mit den Bauern und ihren Führern gesucht. Kurz vorher wurden die verstümmelten Leichen von zwei unabhängigen Kandidaten für das Abgeordnetenhaus aus der Provinz Huanuco an der Landstraße gefunden: ein bekannter Journalist und der Dekan einer medizinischen Fachschule.

Drei beliebige Beispiele und reiner Zufall, daß sich kein Vertreter der Linksparteien darunter befindet. Neben Lokalpolitikern sind auch die Manager kleiner und mittlerer Fabriken bevorzugte Zielscheiben tödlicher Attentate. Die Tatabläufe gleichen sich: Kommandos von zwei bis drei Bewaffneten erschießen die Opfer aus nächster Nähe und entkommen fast immer unbehelligt. „Sendero Luminoso“ heißt es dann in den Mitteilungen der Polizei.

Doch bislang ist von Sendero weiter nichts bekanntgegeben worden als ein allgemeiner Aufruf zum Wahlboykott am 8. April, verbreitet durch Mundpropaganda oder über kurzfristig gekaperte Radiostationen. Für den kommenden Mittwoch wurde durch die gleichen Kanäle zu einem „paro armado“, einem bewaffneten Generalstreik, aufgerufen. Ohne Erklärungen, keine Massenorganisation schließt sich dem offen an.

Ähnlich mysteriös verlaufen die Untersuchungen zu den explodierten wie auch den rechtzeitig entschärften Autobomben, die in allen Teilen Limas vorzugsweise vor öffentlichen Gebäuden deponiert werden. Die bislang größten Zerstörungen richtete eine Bombe an, die am Freitag vor dem Wirtschaftsministerium explodierte: Der Chauffeur eines APRA -Politikers und das dreijährige Kind einer Straßenverkäuferin verbrannten bei lebendigem Leibe, fast 40 zufällig anwesende Passanten wurden zum Teil schwer verletzt.

Trotz des daraufhin ausgerufenen Notstandes und der verstärkten Präsenz von Polizei und Militär im Zentrum von Lima sind die Sicherheitskontrollen mehr als lax: Sogar in den Zentralen der politischen Parteien werden zwar die Ausweise der Besucher penibel studiert, nicht jedoch der Inhalt der Handtaschen. Die Reporterin hätte schon kiloweise Dynamit einschmuggeln können. Die Kandidaten verlassen sich denn auch lieber auf ihre eigenen Sicherheitsapparate, und es wächst der Eindruck, daß vielleicht nicht alle Aktionen, die Sendero Luminoso zugeschrieben werden, auch wirklich von den Kommandos des „Leuchtenden Pfades“ verübt werden.

Völlig im dunkeln sind zum Beispiel weiterhin die Hintergründe einer Bombenserie, die Mitte März diesen Jahres gegen die Büros von amnesty international, die „Comision Andina de Juristas“ (CAJ) und das Rote Kreuz verübt wurden: Organisationen der Sozial- und Menschenrechtsarbeit waren bislang nie Ziel von Guerillaaktionen - ein weites Feld für Spekulationen. Man vermutete zunächst paramilitärische Gruppen wie das Kommando „Rodrigo Franco“, doch der ihnen nahestehende Innenminister Mantilla versichert, er wisse von nichts. Die Polizei verweist auf die zweite Guerillagruppe, die „Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru“ (MRTA), was den Menschenrechtlern unglaubwürdig erscheint, pflegt die MRTA doch ein ausgesprochenes Robin-Hood-Image. Die Analyse des verwendeten Sprengstoffs schließlich verweist auf die Streitkräfte. Vielleicht die einleuchtendste Erklärung, da diese mit dem Innenminister im Clinch liegen und ihn nach Kräften zu desavouieren suchen.

Ein verworrenes Bild, das durch den anarchischen Alltag Limas noch an Facetten gewinnt: Ständige Stromausfälle erwecken den Eindruck, irgend etwas liege in der Luft. An Wasser kommen nur noch die Familien mit den stärksten Motorpumpen, der Rest steht stundenweise an den Wasserhähnen an, wenn diese gerade mal funktionieren. Die Straßen sind vom beißenden Qualm verbrannten Abfalls erfüllt, denn seit der neue Bürgermeister die Privatisierung der Müllabfuhr angekündigt hat, reißt die sich kein Bein mehr aus.

Doch was ein echter Limeno ist, trägt alles gelassen: „Na, auch von der Bombe wach geworden“, begrüßt einen morgens um fünf die Pensionswirtin im Flur, nachdem ein ohrenbetäubender Knall die noch heilen Scheiben erzittern ließ. „Das ist noch gar nichts. Vor drei Jahren hatten wir das dauernd, den ganzen Tag über.“