„Wir bemühen uns, ruhig zu bleiben“

Osvaldas Markevicius ist Sekretär des litauischen Studentenverbandes und Aktivist der Unabhängigkeitsbewegung / „Wir hoffen sehr auf internationale Hilfe“  ■ I N T E R V I E W

taz: Wie sieht es im Augenblick - Montag 14 Uhr - in Vilnius aus?

Markevicius: Unser Parlament fährt ruhig mit der Beratung der Ministerliste fort. Gerade sind wir beim Kulturminister. Aber die Spannung ist schon sehr stark. Mit Hilfe sowjetischer „Green Barrets“ hat die „Nachtpartei“, also die prosowjetische und von unseren litauischen Kommunisten abgespaltene Gruppe, vier Gebäude besetzt, darunter die Parteischule, das Stadtparteikomitee und die pädagogische Hochschule. Außer unseren „Contras“ darf dort niemand durch.

Glauben Sie, daß die Sowjetunion die Institutionen des unabhängigen Litauen mit Waffengewalt beseitigen wird?

In der vorigen Nacht kursierten Gerüchte über die drohende Besetzung unseres Parlaments, und auch für heute nacht erwarten manche eine solche Aktion. Meiner Ansicht nach verfolgt die sowjetische Seite eine großangelegte Provokationsstrategie. Wenn es als Reaktion auf die Besetzung der Häuser zu litauischen Massendemonstrationen käme, wäre das für die Sowjetunion Grund genug, Militär einzusetzen. Sie könnte auf das Ausbrechen von Unruhen verweisen.

Wie wollen Sie Protestkundgebungen vermeiden?

Das Parlament und Landsbergis haben dazu aufgerufen, Provokationen wie die Besetzungsaktion einfach zu ignorieren. Sollen sie machen, was sie wollen - wir antworten einfach nicht.

Was ist von der Behauptung Gorbatschows zu halten, in Litauen würden sich bewaffnete Freiwilligenverbände „Landwehren“ - bilden?

Das ist eine Fehlinformation. Bei uns läuft jetzt die Registrierung von Freiwilligen, die zukünftig, wenn es nötig werden sollte, zum Schutz unserer Grenzen eingesetzt werden sollen. Diese Registrierung ist aber mit keinerlei Waffenausgabe verbunden. Die Aufforderung Gorbatschows an alle Litauer, ihre Jagdflinten etc. abzuliefern, verfolgt ja auch die Absicht, uns zu unterstellen, wir wollten bewaffnete Verbände bilden.

Wie ist die Stimmung bei Ihren Freunden - sind sie optimistisch hinsichtlich eines friedlichen Ausgangs?

Darauf ist schwer zu antworten. Wir bemühen uns, ruhig zu bleiben und die Ruhe zu erhalten. Aber im Unterbewußten rumort es. Wir müssen sehr überlegt und umsichtig handeln. Wer weiß, zu welchen Provokationen die „Nachtpartei“ als nächstes greifen wird. Sie verhält sich wie eine fremde Partei in unserem unabhängigen Staat.

Wie beurteilen Sie die bisherigen Reaktionen in den westlichen Staaten auf die Spannungen in Litauen?

Wir hoffen sehr auf internationale Hilfe, weil es dann mit Gorbatschow leichter gehen wird. Bis jetzt weigert sich die Sowjetunion, mit uns Verhandlungen aufzunehmen. Wenn wir stärkere Unterstützung auch auf offizieller, diplomatischer Ebene bekommen würden, könnte die Sowjetunion dazu gebracht werden, diese Haltung aufzugeben und ernsthaft mit uns über die Unabhängigkeit zu reden.

Das Telefoninterview führte Christian Semler