Verteidigernöte im Euro-Strafraum

14. Strafverteidigertag besorgt über Bürger- und Mandantenrechte in einem vereinten Europa / Zusammenwachsen auf kleinstem gemeinsamem Nenner / Kritik an praktizierter Kronzeugenregelung  ■  Von Anna Jonas

Berlin (taz) - Noch am Samstag hatten die über 300 in Frankfurt zum Abschluß des 14. Strafverteidigertages versammelten Juristen dringend vor den Folgen einer Kronzeugenregelung gewarnt, da wurde am Montag in West -Berlin bereits erstmals ein Urteil auf der Basis dieser neuen Regelung gefällt. Die Strafverteidiger hatten demgegenüber unmißverständlich gefordert: „Dem Staat muß verboten sein, einem Beschuldigten Vorteile dafür zu versprechen und zu gewähren, daß dieser dem Staat bei Ermittlungen gegen andere behilflich ist.“ Die Pläne der Bundesregierung für ein Strafverfahrensänderungsgesetz sollten deshalb aufgegeben, statt dessen „die Bemühungen für eine europäische Charta von Beschuldigtenrechten“ unterstützt werden - und zwar „politisch und administrativ“.

Die Chancen einer politischen Durchsetzung der Forderungen der Strafverteidiger scheinen zur Zeit nicht groß zu sein, denn offizielle Vertreter hatten weder die Bundesregierung noch die Polizei, die Staatsanwalt- oder Richterschaft zum diesjährigen Strafverteidigertag entsandt. „Die politische Schiene ist zur Zeit verrostet“, lautete dazu der Kommentar des Berliner Rechtsanwalts Klaus Eschen. Was den Verteidigern bleibt, ist die „individuelle Schiene“: Sie können in jedem einzelnen Strafverfahren die entsprechenden Rechtsmittel bis hin zur Verfassungsbeschwerde ausschöpfen.

Vor einem Abbau der Grundrechte von beschuldigten Bürgern in einem Europa ohne Grenzen hatten die Teilnehmer des 14. Strafverteidigertages in Frankfurt gewarnt und deutlich gemacht, daß sie - entgegen den allgemein positiven Erwartungen an den europäischen Einigungsprozeß - zutiefst besorgt sind. Sie befürchten, daß das „Zusammenwachsen der Staaten nicht auf dem größten gemeinsamen Nenner von persönlicher Freiheit und Sicherheit für den Bürger, sondern auf dem von staatlicher Sicherheit und Ordnung erfolgen wird“. „Aus kategorischen Gründen“ lehnen sie deshalb die zunehmend geforderte „Waffengleichheit“ ab, wie sie für die staatlichen Ermittlungsapparate gefordert wird, um mit neueren Erscheinungen der Kriminalität gleichziehen zu können.

Insbesondere warnten die Strafverteidiger davor, daß die europäische Einigung ganze Bereiche des Polizeirechts in kontrollfreie Räume verlagern könnte. In diesem Zusammenhang wurde auch das „Schengener Abkommen“ erwähnt, dessen Bestimmungen - aus Behördensicht - die nachlassenden Grenzkontrollen auffangen sollen. Der Vorsitzende der Vereinigung der Hessischen Strafverteidiger, der Frankfurter Rechtsanwalt Eberhard Kempf, formulierte die Kritik so: Beschuldigte könnten ab 1992 „zwar besser verfolgt, nicht aber besser verteidigt werden“.

Als Tendenz stellten die Juristen fest, daß Beschuldigtenrechte abgebaut und die basisdemokratisch orientierte Opposition „kriminalisiert“ würden. In verschiedenen Bereichen - so beim Demonstrationsstrafrecht, den Versammlungsgesetzen und beim polizeilichen und justiziellen Umgang mit „Terrorismus“ - hätten sich „Gesinnungsstrafrecht, Sondergerichtsbarkeit, rechtsstaatswidrige Ermittlungsmethoden und verschärfte Haftbedingungen herausgebildet“, monierten die Juristen. Wenn nun noch in einem vereinten Europa polizeiliche Informationssysteme aufgebaut und Ermittlungs- und Erfassungsmethoden durch Ministerialbürokratien vereinbart und praktiziert würden, so müsse „die Chance, die Rechte der Beschuldigten auf der Grundlage vorhandener Regelungen neu zu bestimmen und zu erweitern“, unbedingt gegeben werden. Die Strafverteidiger wollen hier an Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte anknüpfen und wissen sich da mit ihren Kollegen aus den Niederlanden, aus Irland, Frankreich, Italien, Schottland, der Schweiz und der DDR einig.

Eine Harmonisierung des europäischen Rechts wird, so ist zu befürchten, eher Nachteile für die Bürger bringen, als den bestehenden Verteidigungsraum wenigstens festzuschreiben. Weder die Bundesregierung noch Justizminister Engelhard scheinen geneigt, den diesbezüglichen Forderungen der Anwälte nachkommen zu wollen. Der damalige Bundesanwalt Buback hatte beispielsweise 1976 die Kronzeugenregelung eine „unnötige Kapitulation des Rechtsstaates genannt. Rechtsanwalt Eschen sieht darin eine „Riesenermessensfülle für die Staatsanwaltschaft, umfassend nach Opportunitätsgrundsätzen zu manipulieren“. Und solange sich das Rechtsbewußtsein der Öffentlichkeit nicht ändert, meint Eschen, wird sich auch daran nichts ändern.