Das Elend mit dem Wohnungsbau

■ Die Bonner Koalition fördert weiterhin eher Spekulation als billigen Wohnraum / Von Erwin Single

Etwa 1,7 Millionen Wohnungen fehlen in der Bundesrepublik, hat das Münchner IFO-Institut für Wirtschaftsforschung errechnet. Die steigende Wohnungsnot wird zum brisanten Problem: Der soziale Friede in unserem Land hänge von der quantitativen und qualitativen Versorgung mit Wohnungen ab, erklärte jüngst auch Bundesbauministerin Gerda Hasselfeldt von der CSU. Parteien, Mieterbund, Gewerkschaften und Kirchen befürchten seit langem, daß der Sozialneid unter den benachteiligten Bevölkerungsgruppen wächst und einen idealen Nährboden für rechtsradikale Rattenfänger bietet - wenn nicht bald die dringend nötigen Wohnungen gebaut werden.

Es hat lange gedauert, bis es auch in Bonn dämmerte. Innerhalb weniger Monate wurde von der gelb-schwarzen Koalition die Kehrtwende vollzogen und das Thema Wohnungsbau neu entdeckt. Durch geradezu krasse Fehleinschätzungen des Wohnungsmarkts war es zu dem Loch bei der Wohnraumversorgung gekommen. Die Wenderegierung hatte den sozialen Wohnungsbau Jahr für Jahr heruntergefahren und 1986 die Förderung sogar ganz eingestellt. Mit der Steuerreform holte die Bonner Koalition zu einem weiteren Schlag aus: Sie schaffte die gesetzliche Gemeinnützigkeit ab und öffnete damit der spekulativen Umwandlung einstiger Sozialwohnungen in teure Mietobjekte Tür und Tor. Man war überzeugt, der freie Wohnungsmarkt würde es schon richten.

Aufgeschreckt durch die „nicht erwartete“ Zahl von Aus- und Übersiedlern, kam dann aber auch Kanzler Kohl ins Grübeln und erkannte in der mangelnden Wohnversorgung „eines der wichtigsten innenpolitischen Probleme“. Vielleicht waren es aber auch einige schmerzliche Wahlniederlagen der CDU, in denen - wie etwa bei der Kommunalwahl in Baden-Württemberg der Wohnungsbau von der Opposition zum zentralen Wahlkampfthema gemacht worden war.

Bauministerin Gerda Hasselfeldt (CSU) schnürte eilig ein „Sofortprogramm der Bundesregierung“ zusammen: jährlich 2 Milliarden DM bis 1993 für den sozialen Wohnungsbau sollten Länder und Kommunen dazu bewegen, auf diesem Gebiet wieder initiativ zu werden. Das Geld reiche für 120.000 Wohnungen, hatte die Ministerin vor Weihnachten errechnen lassen.

Das sei bei weitem zu wenig, kritisierte der Deutsche Städtetag und forderte allein für dieses Jahr 10 Milliarden. Bei der „Wohnungspolitischen Sonderkonferenz“ des Städtetags hatte dessen Vorsitzender, der Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, höhere Zuwendungen vom Bund und Ländern für die Kommunen gefordert - notfalls über Steuererhöungen (siehe Artikel unten).

In die Schußlinie der Kritik geriet vor allem das „Super -Steuerspar-Modell“. Nach der von der Koalition beschlossenen Abschreibungsregelung können innerhalb von zehn Jahren 85 Prozent abgesetzt und die Wohnungen danach verkauft werden, weil dann die Sozialbindung endet. Hier werde mit Steuergeldern privaten Investoren zu stark unter die Arme gegriffen, kritisierten daraufhin nicht nur die Grünen.

Aber selbst wenn Länder und Kommunen, die die „Bauhoheit“ haben, noch kräftig zulegen, können die Lücken wohl nicht geschlossen werden. Das Münchner IFO-Institut schätzt, daß bis zum Jahr 2000 rund eine halbe Million Wohnungen pro Jahr zusätzlich benötigt werden - auf Grund einer Zunahme der Haushalte und des durchschnittlichen Wohnflächenbedarfs. Daß private Bauherren und -frauen diese Engpässe lösen können, bezweifeln selbst die meisten Wohnungsbauexperten.

Besonders in den Ballungszentren zeigen sich Probleme, die aus den hochtrabenden Wohnungsbauplänen kleine Brötchen werden lassen. Hier sind Grund und Boden besonders teuer, und auch das Bauen wird durch die gegenwärtigen Zinssteigerungen immer teurer. Die aus den Baukosten resultierenden Mietpreise liegen schon jetzt über 20 DM pro Quadratmeter. Und solange dort die Preissteigerungsraten für Bauland über den möglichen Gewinnen durch den Wohnungsbau liegen, wird nicht gebaut. Im Gegenteil: Grundstücke werden zu Spekulationszwecken zurückgehalten.

Die rechtlichen Möglichkeiten, die Besitzer zur Herausgabe der dringend benötigten Bauflächen zuzwingen, sind äußerst gering. Baulandausweisungen in den Randgebieten der Großstädte, wo das Bauland noch preisgünstiger ist, sind oft aus städtebaulichen und ökologischen Gründen, aber auch aus verkehrspolitischen Überlegungen heraus bedenklich und werden von den Kommunen häufig abgelehnt.

Man will weder neue Trabantenstädte noch Getthosiedlungen schaffen. Die Schonung solcher potentieller Baulandressourcen treibt die Baulandpreise in Gebieten mit Baurecht allerdings noch mehr in die Höhe. Bauwillige Investoren gehen zunehmend gegen solche Behinderungen auf die Barrikaden. Um das Planen und Bauen „zu erleichtern“, hat die Bundesregierung ein auf fünf Jahre befristetes Wohnungsbauerleichterungsgesetz beschlossen und im Bundestag gegen die Stimmen der Opposition durchgesetzt. Das Gesetz, das im Mai in Kraft tritt, erlaubt beim Wohnungsbau künftig Ausnahmen von den geltenden Baugesetzregelungen. Die Fristen für Baugenehmigungen werden von zwei Monaten auf einen verkürzt. Bebauungspläne können in einem verkürzten Verfahren erstellt werden; von einer Bürgerbeteiligung kann mit der Auslegung der Entwürfe abgesehen werden. Und: Wird über die Genehmigung in Bebauungslandgebieten nicht innerhalb von drei Monaten entschieden, gilt das Vorhaben als städtebaurechtlich zulässig.