Strafrabatt für einen Kronzeugen

Das erste Urteil gegen einen Kronzeugen / Fünf Jahre Haft für einen des Mordes angeklagten Kurden  ■  Aus Berlin Plutonia Plarre

Der erste Kronzeugen-Deal ist perfekt: Erstmals in der bundesdeutschen Justizgeschichte hat gestern die 27. Strafkammer des Berliner Landgerichts die umstrittene Kronzeugenregelung angewendet, indem sie den 36jährigen ehemaligen leitenden Funktionär der kurdischen Arbeiterpartei PKK, Ali Cetiner, wegen Mordes an einem Parteidissidenten zu fünf Jahren verurteilte. Normalerweise steht auf Mord die lebenslange Freiheitsstrafe. Cetiner kam in den Genuß des Kronzeugenrabatts, weil er umfassend über die PKK ausgepackt und damit zum Erlaß von 16 Haftbefehlen gegen PKK-Angehörige im In- und Ausland beigetragen hatte. Im großen PKK-Prozeß vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht soll er als Kronzeuge der Bundesanwaltschaft auftreten.

Der Vorsitzende Richter der 27.Strafkammer des Berliner Landgerichts, Hans Prüfer, betonte in der Urteilsbegründung, es habe gegen die Anwendung der Kronzeugenregelung keine „rechtlichen Bedenken“ gegeben. Etwaige Zweifel, daß Cetiner seine ehemaligen Gesinnungsgenossen belastet habe, „um billiger davonzukommen“, hätten schon allein deshalb an „Gewicht“ verloren, weil der Angeklagte „einen großen Teil der Aussagen vor Einführung der Kronzeugenregelung“ gemacht habe. Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anwendung der Kronzeugenregelung hätten aufgrund der umfassenden Angaben des Angeklagten vorgelegen.

Das Gericht hielt den Angeklagten in vollem Umfang für schuldig, im Juni 1984 an dem Mord an dem Parteidissidenten Murat Bayrkali in Berlin beteiligt gewesen zu sein. Bayrkali war mit einem Stoffknebel erstickt worden, weil er für einen antimilitärisch eingestellten, ehemaligen PKK-Funktionär Kurierdienste geleistet haben sollte. Daß Cetiner an der Ausführung des Mordes nicht unmittelbar beteiligt war, bildete für das Gericht keinen Grund, ihm einen „Notstand“ zuzu Fortsetzung auf Seite 2

billigen: Schließlich sei der Angeklagte vor Ort „der Chef“ gewesen und habe sich als „Herr über Leben und Tod“ aufgespielt, indem er die Vernichtung eines Lebens als Mittel zur Einschüchterung im politischen

Kampf eingesetzt habe.

Als Strafmilderungsgründe führte Prüfer jedoch an, daß der „nicht besonders begabte“ Angeklagte als Kurde in einer Atmosphäre von Mißtrauen und Feindseligkeit aufgewachsen sei und sich inzwischen überzeugend von der PKK distanziert habe. Die Staatsanwaltschaft hatte vier Jahre und sechs Monate Haft beantragt, während die Verteidigung auf nicht mehr als vier Jahre plädiert hatte.

Die Berliner Rchter gingen davon aus, daß der im Düsseldorfer PKK-Verfahren angeklagte Ali Aktas unmittelbar an dem Mord beteiligt war.

Ob Aktas dafür verurteilt werden könne, liege aber allein in der Verantwortung des Oberlandesgerichts Düsseldorf, sagte Prüfer. Er wies

ausdrücklich darauf hin, daß die Düsseldorfer Richter „nicht“ an die Berliner Entscheidung gebunden seien.

Die Anwendung der Kronzeugenregelung wurde gestern von der „Vereinigung Berliner Strafverteidiger“ aufs Schärfste kritisiert.

Die Strafverteidiger zitierten den von der RAF ermordeten früheren Generalbundesanwalt Buback, der 1976 in einem Interview gefragt hatte, ob man „einen von zwei Mördern laufen lassen soll, nur weil er sagt, der andere war auch dabei“.

Die Strafverteidigervereinigung war sich mit Buback darin einig, daß dies eine „unnötige Kapitulation des Rechtsstaats“ sei. Ihr Fazit: „Eine solche hat heute stattgefunden, weitere werden durch dieses Urteil folgen.“