Piraten des Kunstbetriebs

■ Die 'genialen Dilettanten‘ der „Tödlichen Doris“ in der Kunsthalle Bremerhaven

Die erste tonlose Eröffnungsrede in der Geschichte des 104jährigen Bremerhavener Kunstvereins hielt am Sonntag Gunther Putt rich-Reignand aus Berlin. In Taubstummensprache begrüßte er an die 200 Gäste und stellte „Die tödliche Doris“ vor, drei Berliner Piraten des Kunstbe triebs, die seit 10 Jahren zwischen Punk und Pinsel satirisch-parodistisch als 'geniale Dilettanten‘ an

ihrem eigenen Gesamtkunstwerk basteln. Käthe Kruse, Nikolaus Utermöhlen und Wolfgang Müller zeigen in der Bremerhavener Kunsthalle Gemälde, Skulpturen, Fotos, Schallplatten, Videos. Wichtiger als die einzelnen Produkte ist die Inszenierung, die zu tödlicher Peinlichkeit führen kann, wenn ein Kunstobjekt nicht nur für bare Münze genommen, sondern gegen selbige innerhalb weniger Minuten abgetragen wird. „Jedes Buch 2 DM“ heißt ein Objekt: Griffbereit plaziert steht auf einem Postament eine abgenutzte Plastikschüssel, mit Filzstift beschriftet („2 DM“), darin liegen 24 Kataloge, bzw kurz nach Ausstellungsbeginn statt der Bücher knapp 50 Mark.

Die Veranstalter mußten mit dem Publikum ein ernstes Wort reden, einige Gäste legten den Katalog von 1985 - Untertitel „Naturkatastrophen“ - wieder an seinen Platz. Die meisten waren zu schüchtern oder stolz auf ihren Kunstraub - „Jedes Buch 2 DM“ ist also nur noch in einer unvollständigen Fassung zu betrachten.

Die drei tödlichen Dorisse spielten in mehrfacher Weise mit der Unberührbarkeit dessen, was als Kunst gilt. Ob es Kekse sind, die von Keksliebhabern nach einigem Zögern verzehrt wurden, oder ein mehrteiliges Objekt aus Teppichresten, die

-um Rasseln und Geräuschinstrumente gewickelt - der tödlichen Crew einst als Percussions-Geräte gedient hatten: Erwartungen und Haltungen des kunstsinnigen Publikums werden gaghaft unterlaufen. Wolfgang Müller kreierte 1987 das Wein -Label „Die tödliche Doris“. Er wollte einen Namen, „der sich mit Kunst vollgesogen hat, wieder ins Leben entlassen“, eine Gegenbewegung zu Andy

Warhol, der Konservendosen aus dem Leben in die Kunst hob.

Zwar spielt die tödliche Doris mit dem konkreten Charakter ihrer Objekte und der schnellen Reproduzierbarkeit ihrer Verfahren (großformatige Klischee-Portraits, „Autogrammkarte“ genannt, werden mit den Mitteln der Werbegrafik hergestellt), aber einige Details verraten, daß die drei genialen Dilettanten mit ihrem Dilettantismus nur kokettieren. Ein „Foto-Dokument-Archiv“ lebt von der ironischen Brechung der Alltags-Motive durch lakonische Texte, kleine Erzählfragmente und Interpretationsvorgaben. Ob genial oder dilettantisch, das ist keine Frage:

der „tödlichen Doris“ gelingt es, in die strenge Kunsthalle eine überraschend große Zahl von Jugendlichen zu ziehen, und ihr gelingt ein so schönes Objekt wie „Milan auf der Gebirgswiese“ (Käthe Kruse, 1989): Verschiedenfarbige Fußmatten hängen untereinander an der Wand, darauf sind ordentlich nebeneinander gereiht - Silbergabeln befestigt, Einzelexemplare aus Großmutters Küchenschrank. Essen und Füßeabtreten, ein gewitztes Spiel mit Bildern und Assoziationen, das über komisch-rebellische Gags zur Provokation herrschender Kunstbetriebsamkeit hinausgeht.

hans happel

„Die tödliche Doris“, Kunsthalle Bremerhaven, Karlsburg 2, bis 23.4.