Bremer Polizei-Wanderkessel vor Gericht

■ Oberverwaltungsgericht verhandelte über Berufung / Urteil am 24. April / Tendenz: Versammlungsfreiheit wichtiger, als auf Vorrat zu filmen

Schlechte Aussichten haben die Stadt Bremen und ihre Polizeiführung mit ihrer Berufung im Fall des Bremer „Wanderkessels“ 1985, die gestern vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) in der 2. Instanz verhandelt wurde. Und gute Chancen haben die Demon

strantInnnen gegen Munitionstransporte, daß ihnen zumindest nachträglich ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit voll zugestanden wird.

Mit langen Schlagstöcken, Helmen und Schildern martialisch bewehrt, hatte im Juli 1985

ein großes Polizeiaufgebot - auf 5 DemonstrantInnen kam ungefähr ein Beamter - eine friedliche Demonstration gegen US-amerikanische Bombenzüge in Bremen erstens rechts und links ins Polizei-Spalier genommen („einschließend begleitet“), zwei

tens pausenlos und sozusagen vorsorglich von einem Wagen an der Demo-Spitze aus per Video abgefilmt und außerdem durch Schupos Fotos machen lassen. Die Demo verlief damals ohne Zwischenfälle und bei bestem Sommerabend-Wetter.

Die Polizeibegleitung und das dauernde Filmen sei beängstigend und einschüchternd, „wie ein Gefangenentransport, wie eine illegale Veranstaltung“ habe der Zug durch die polizeilichen Maßnahmen gewirkt, argumentierte Rechtsanwalt und 1985 Demo-Anmelder Reinhard Engel gestern in der Berufungs-Verhandlung. Dabei hatten sich damals die VeranstalterInnen bewußt für eine angemeldete, friedliche Veranstaltung mit viel Flugblatt -Aufklärungsarbeit entschieden und hatten auch bewußt „kooperativ“ die Demo-Route weg von den Schienen nach den Polizeiwünschen geändert.

Der 2. Polizeipräsident Albert

Lohse und der Justitiar der Stadt Bremen, Hans-Jörg Wilkens, argumentierten: Nicht einzelne Demonstranten, sondern nur „die Gesamtlage“ sei per Video und Fotos erfaßt worden, und zwar „zur Gefahrenabwehr“ und in Sorge um die Bahngleise, das US-Konsulat oder das Haus des Innensenators: „Das war sicher nicht die optimale, aber eine vertretbare Entscheidung!“ Schließlich habe es ja schon zuvor mal „Eingriffe in den Schienenverkehr“ gegeben. Und außerdem seien die Filme und Videos inzwischen vernichtet. Schon die unbefugte Erhebung von Daten ist aber rechtswidrig. Und die Polizei darf nur filmen, wenn eine „unmittelbare Gefahr“ direkt bevorsteht. Davon war im Juli 85 keine Rede.

Der Vorsitzende Richter, OVG-Präsident Günter Pottschmidt, zeigte sich „irritiert“ davon, daß die Aussagen der Polizeiseite „stark changierten“.

Lohse mußte sich vor Gericht sagen lassen: „Wenn Asylbewerber so vortragen würden wie Sie, würde Ihr Amt sagen: 'unglaubwürdig!'“. Warum die Polizei auch angesichts der nur ein paar hundert DemonstrantInnen in T-Shirts und mit Kinderwagen bei Helm, Stöcken und Wanderkessel geblieben war, warum die Demo gerade auf ihrem Weg vom Bahnhof und den Schienen weg so heftig begleitet wurde, das wollte dem Richter auch mit der Vokabel „Gefahrenabwehr“ offenbar nicht einleuchten: „Die Demonstranten müssen sich doch vorkommen wie gefährliche Tiere im Käfig-Gang! Es ist nicht unerheblich, wenn Leute nur eingerahmt demonstrieren dürfen. Wenn ich da an Dresden oder Leipzig denke... Ist der Schaden, die Auswirkungen auf das Versammlungsrecht, nicht größer als der Gewinn?“ Ein Urteil gibt es am 24. April.

Susanne Paa