Nagel bremst S-Bahn-Bau

■ Fahrgastverband: Gelder für neue S-Bahn-Strecken von der Bauverwaltung „umgeleitet“ / AL-Sprecher Michael Cramer: „Eindeutiger Koalitionsbruch“

Der Streit über die Investitionen für die S-Bahn reißt nicht ab. Neuer Vorwurf der Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr (IGEB): Die Bauverwaltung Senator Nagels (SPD) will die von SPD und AL für die Wiederinbetriebnahme stilliegender S-Bahn-Strecken zusätzlich bereitgestellten 170 Millionen DM pro Jahr „einfach nicht dafür ausgeben, wofür sie gedacht waren“. Vielmehr sollen diese Gelder dieses Jahr zur Hälfte für die schon befahrenen S-Bahn -Strecken von 71 Kilometern sowie für den Neubau der U-Bahn -Linie 8 Richtung Märkisches Viertel verwendet werden, so gestern der IGEB-Vertreter Christfried Tschepe.

Der sonst um Erklärungen für die Wirrungen Berliner Verkehrspolitik nicht gerade verlegene Fahrgastlobbyist: „Das möchten wir auch mal wissen, wieso die so eigenmächtig planen.“ Angesichts der „unkontrollierten“ Mittelvergabe für den S- und U-Bahn-Bau durch die Bauverwaltung halte es die IGEB jedenfalls für „dringend erforderlich“, Verkehrssenator Wagner (SPD) einen zweiten Staatssekretär zuzuordnen. Der müsse als Stütze für den „anscheinend überforderten Verkehrssenator“ ein Verkehrsspezialist sein.

Wie die Bauverwaltung die von der Koalition auf 340 Millionen DM aufgestockten Gelder für die U- und S-Bahn 1990 zu verwenden gedenkt, will der Interessenverband einem gestern freilich nicht vorgelegten Schreiben Baustaatssekretärs Görler entnommen haben. Danach habe die Verwaltung für die Arbeiten am S-Bahn-Südring und der Linie S6 nach Lichterfelde Süd nur 89 Millionen DM vorgesehen. Ebenfalls abweichend von den SPD/AL-Zielen seien für die weiteren Modernisierungen der jetzt betriebenen S-Bahn -Strecken Ausgaben von 156 statt 110 Millionen DM eingeplant; beim Weiterbau der U-Bahn-Linie 8 bis Wittenau reserviere sich das Haus Senator Nagels für 1990 nunmehr 95 statt der von der Koalition vorgegebenen jährlich 60 Millionen DM.

Äußerst erzürnt äußerte sich gestern schon der verkehrspolitische Sprecher der AL, Michael Cramer. Er sprach von einem „eindeutigen Koalitionsbruch“. Zugleich wies er darauf hin, daß eine solche Umschichtung der Gelder für den Schnellbahnausbau einem Beschluß der SPD-Fraktion widerspreche.

Dagegen vermochte Verkehrssenator Wagners Sprecher Steinke die entstandene Aufregung nicht zu teilen. Der Sprecher: „Mir ist das Schreiben Görlers nicht bekannt, meiner Meinung nach stimmen die Zahlen auch nicht. Ich muß die erst nachchecken.“ Der Baustaatssekretär selbst befand sich gestern nach Auskunft seiner Verwaltung auf Dienstreise und war für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

thok