Statt Heidi Brühl gab's Hitchcock

■ Der „Fall Holbe“ bei RTL plus

Natürlich, hinterher sind wir alle schlauer. Aber war uns dieser treuherzige Beagle-Blick, das scheinbar nicht abzustellende Lächeln dieser schimärischen Charmesprühdose nicht schon immer suspekt? Fanden wir nicht dieses in die Kamera schier sich hineinstülpende Alles-gut-Finden, diesen positivistischen Pflock in den Gezeiten wechselnder Unterhaltungsmoden nicht schon zu Zeiten der ZDF -„Starparade“ ziemlich unausstehlich?

Nein, er ist uns nicht entgangen, dieser febrile Glanz in den Augen, genausowenig das innere Reißen und Tümmeln des herrschsüchtigen Astralleibs, der immer dann machthungrig an Rainer Holbes Karma nagte, wenn der sich für RTL esoterischen Themen widmen durfte. Denn denjenigen, die Holbes Sendereihe Unglaubliche Geschichten kritisch verfolgten, sind schon vorher einschlägige Anspielungen aufgefallen, unterhalb der Skandalgrenze zumeist, aber doch von fragwürdigem Gehalt.

Was unsereins nicht einmal mit behandschuhten spitzen Fingern anfassen würde, hat der 'stern'-Autor Peter Praschl aufmerksam gelesen, nämlich eines der spiritistisch -spintisierenden Bücher des früheren Redakteurs der 'Frankfurter Rundschau‘ und späteren Starmoderators von zunächst ZDF, dann RTL. Und Praschl wurde fündig: Gatarnt als Aussagen zweier Berliner Karma-Forscher - sogennanten „Experimentatoren“ - referierte Holbe Antisemitismen der pseudo-philosophischen Art, d.i. jene, die unter dem Deckmantel seriöser Wissenschaft größeren Schaden anrichtet als bullige Volksverhetzer am Stammtisch schäumender Republikaner. In etwas holprigem Deutsch vertritt Holbe unter anderem die These, das jüdische Volk habe seine jahrhundertelange Leidensgeschichte selbst initiiert, als Buße für die Kreuzigung des Erlösers Jesus Christus. Selbst die Krebserkrankung des verstorbenen (jüdischen) Kollegen Hans Rosenthal paßt dem Unsinnsucher ins Konzept: „So leidet er hier für sein Volk“, zitierte ihn der 'stern‘, „mit ihm heilt es mehr und mehr.“ Daß die (großjährigen) Kinder des Katholiken Holbe alttestamentarische, mithin also jüdische Namen tragen, deutet auf eine im Alter zunehmende Verwirrtheit des wiedergeborenen Karmaniacs.

Bei Holbes gutem Draht zu Magiern und Reinkarnierten hätten ihn die Kaffeesatzzeichen eigentlich rechtzeitig warnen müssen: Am Freitag letzter Woche verweigerten ihm seine MitarbieterInnen beim RTL-Frühstücksfernsehen Hallo Europa die Gefolgschaft und sahen aufgrund der 'stern' -Veröffentlichungen keine Basis mehr zur weiteren Zusammenarbeit. Auch die Senderleitung reagierte schnell: Mit ungewohnt ernster Miene verkündete Tagesmoderatorin Isolde Tarrach am Sonntag abend, RTL habe sich von Rainer Holbe mit sofortiger Wirkung getrennt, weshalb seine Sendung Stippvisite aus dem Programm genommen worden sei. Statt Holbes Besuch bei Heidi Brühl gab's Alfred Hitchcock zeigt..., für den am Jenseits orientierten Holbe vermutlich ein suspense-Erlebnis der dritten ArT, PSI live sozusagen.

Der in Köln und Luxemburg ansässige Sender RTL muß sich indes vorwerfen lassen, die Verwendung seines Emblems vielleicht etwas zu unkritisch und voreilig gestattet zu haben, denn eben dies ziert das inkriminierte Holbe-Buch. Vorbildlich aber und ohne Abstrich lobenswert ist die geschwinde Distanzierung von Holbe und der sofortige Rausschmiß, zumal sich der Geschaßte auf dummdreiste Weise uneinsichtig zeigt, wenn er seine Kollegen beschuldigt, „gegenüber neuen geistigen Prozessen den Standpunkt der Inquisition einzunehmen“. Die RTLer tun recht daran, ihren Kanal für solche „Prozesse“ zu sperren.

Bedenkt man, wie lange der Bayerische Rundfunk brauchte, um sich vom bekennenden SS-Mitglied Schönhuber zu trennen, könnte man länger sinnieren über die Verteilung der Moral zwischen öffentlich-rechtlichen und kommerziell ausgerichteten Sendern. In diesem Fall haben letztere eindeutig nach Punkten gewonnen.

Harald Keller